Nach 100 Jahren verschwindet das Kies

Mit der Erweiterung der Hafenanlagen ist gleichzeitig eine sanfte Neugestaltung des Hafendamms vorgesehen. Dem Kiesumschlagplatz schlägt die letzte Stunde. Ein Rückblick.

Während Jahrhunderten findet der Güterverkehr rund um den Bodensee weitgehend auf dem Wasser statt. Zahlreiche Fuhrhalter sind Schiffsleute. Noch im 19. Jahrhundert verkehren 150 Lastschiffe, die 33 Meter langen Lädinen und die kleineren Segmer. Sie transportieren vor allem Salz, Getreide, Wein, Obst und Baumaterialien. Bis nach dem Ersten Weltkrieg haben die Bodenseekapitäne die unterschiedlichen Uhrzeiten von fünf Staaten zu berücksichtigen: In Konstanz (Baden) gilt die Karlsruher, in Friedrichshafen (Württemberg) die Stuttgarter, in Lindau (Bayern) die Münchner, in Bregenz (Österreich-Ungarn) die Prager und in der Schweiz die Berner Zeit. Vor allem für die um 1850 aufkommende fahrplanmäßige Dampfschifffahrt ist dies eine recht komplizierte Angelegenheit; beträgt doch zum Beispiel der Zeitunterschied zwischen Konstanz und Bregenz 24 Minuten.

Saurer-Laster lösen Schiffe ab

Gegen Ende des Jahrhunderts baut Saurer Petrol- und Benzinmotoren in die Segelschiffe ein – eine willkommene Neuerung für die Schiffsleute und für Saurer ein erfolgreicher Geschäftszweig. Mit der stürmischen Industrialisierung um 1900 und der damit verbundenen regen Bautätigkeit wächst der Bedarf an Baumaterial.

Verlagerung auf die Strasse

Hinzu kommt der Kies- und Sandabbau bei der Mündung der Argen (Langenargen/ Kressbronn) und im Rheindeltagebiet. Mächtige schwimmende Baggerwerke laden das laufend angeschwemmte Material auf die Kiesschiffe um. Problemlos arbeiten Österreicher, deutsche und Schweizer Unternehmen nebeneinander. Nach der Jahrhundertwende verschwindet der Gütertransport auf dem Wasser. Saurer-Lastwagen treten an die Stelle der langsamen Schiffe. Was bis in unsere Tage bleibt, sind die Kiesschiffe.

Schiffländestrasse als Nadelöhr

Nach der Jahrhundertwende beginnt der vielseitige Fuhrhalter Hans Kugler mit dem Kiesumschlag auf dem Hafendamm, und seither gehören die Kiesberge verschiedenster Körnung zum vertrauten Ortsbild am Ufer wie der Glockenturm zur Kirche. Zunächst sind es die Pferdefuhrwerke, die für den wachsenden Verkehr auf der Bahnhofstrasse und der 1898 gebauten St. Gallerstrasse hinaus auf die vielen Baustellen im Neuquartier sorgen. Der «Oberthurgauer» berichtet von zeitweise mehreren hundert Fuhrwerken täglich. Um die Bahnhofstrasse und das Nadelöhr der Schiffländestrasse zu entlasten, liegt 1910 das Projekt für eine neue Hafenstrasse vor (heute Adolph-Saurer-Quai). Die Textilkrise und der Erste Weltkrieg verhindern zunächst die Ausführung.

Beschäftigung für Arbeitslose

1922/23, inmitten der Wirtschaftskrise der Nachkriegsjahre, gelangt dann das um den Hafen und die Quaianlage erweiterte Projekt zur Ausführung. Bemerkenswert aus heutiger Sicht ist die Reihenfolge der Argumente in der Abstimmungsbotschaft der Ortsverwaltung; steht doch die neue Strasse an erster Stelle. Der Hafenbau und die Quaianlage mit dem Stadtpark sind als zusätzliche Notstandsarbeiten gedacht, können doch stets bis 150 der 600 Arbeitslosen beschäftigt werden – eine willkommene Erwerbsquelle für viele entlassene Fabrikarbeiter. Notstandsarbeiten lösen zudem kantonale Subventionen aus.

Der Rückblick zeigt, dass die Arboner nicht zuletzt dank Hans Kuglers Kiesumschlag auf dem Hafendamm ihre erste Uferanlage erhalten.

(Hans Geisser/St. Galler Tagblatt v. 23.01.10)

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