Wenn an stürmischen Bodensee-Tagen die
Passagiere des Motorschiffs
"Stuttgart" immer blasser wurden und lieber zu Hause geblieben wären,
war der Wellengang für die vier Eichenfässer im Bug des Schiffes das Tüpfelchen
aufs i. Durch die Schaukelbewegung erhielt der "Wellen-Apfelbrand"
sein besonderes Aroma.
Die "Schnapsidee", Apfelbrand eine
Saison lang im Bauch eines Bodenseeschiffes zu schaukeln, war geboren, als
Obstexperten wie der frühere OB Josef Büchelmeier und Manfred Weixler von den
Bodensee-Schiffsbetrieben erfuhren, dass Aquavit - nachdem er versehentlich
vergessen und zu lange über den Äquator geschippert worden war - viel besser
schmeckte. Warum sollte das nicht auch mit Apfelbrand vom Bodensee passieren?
Gesagt, probiert, und siehe da: Durch die sanften Wellenbewegungen während
einer Saison im Bauch eines Linienschiffes zwischen Konstanz und Bregenz erhielt
auch der Apfelbrand vom Bodensee einen unnachahmlichen Reifegrad, eine
goldbraune Färbung und einen Geschmack wie Cognac oder Whisky. Wie der aus den
vier Fässern, die jetzt in Überlingen mit dem Kran aus dem Bug des
Passagierschiffes "Stuttgart" gehievt wurden.
Geschützt wie der Name
"Linie-Aquavit" ist inzwischen auch der Begriff "Wellenbrand vom
Bodensee". 14 000 Kilometer legten die ersten Fässer mit der "Weißen
Flotte" zurück, 29 600 Kilometer waren die unterwegs, die aktuell am
Dienstag aus dem Bug des Motorschiffes "Stuttgart" gehoben wurden.
Dort lagen sie seit Saisonbeginn der Bodensee-Schiffsbetriebe an Ostern. Dass
ihr Reifegrad ein besonderer war, sah Brennmeister Rupert Lehle aus
Meckenbeuren-Reute schon auf der Fahrt von Meersburg in die alte Freie
Reichstadt, nachdem er das Siegel-Wachs mit dem Hammer weggeklopft und den
Korkenzieher angesetzt hatte, um aus einem der vier Fässer mit ihren knapp 200
Litern zu kosten. Was ihn seine Zunge spüren ließ, war offenbar hervorragend.
"Bei uns herrschen 0,0 Promille",
muss Kapitän Michael Erndwein passen, als ihm Lehle ein "Versucherle"
anbietet, das er eben aus dem Eichenfass gezogen hat. Der Schiffsführer ist
weit davon entfernt, während des Dienstes auch nur einen Tropfen anzurühren.
Das Probefläschchen, das ihm der Brennmeister mitgibt, hält er für die Zeit
nach dem 18. Oktober zurück, wenn die Bodensee-Schiffsbetriebe die Saison
beenden.
Qualität vor Quantität
Brennmeister Rupert Lehle war 16 Jahre lang
Vorsitzender des Kleinbrennerverbandes und weiß Bescheid. Der Leiter der
landwirtschaftlichen Lehranstalt für Gärungsgewerbe an der Universität
Hohenheim, Dr. Thomas Senn, hat ihm die Qualität seiner Erzeugnisse ebenso
bescheinigt wie der Präsident des Deutschen Patentamtes, der ihm die Marke
"Wellen-Apfelbrand" in einer Urkunde bescheinigte. Hohe Auszeichnungen
erhielt er unter anderem von Gault-Millau.
Für den Apfelbrand verwendet Rupert Lehle nur
gepflückte Ware, Äpfel der Sorten Elstar oder Jonagold, die er nach dem Pflücken
drei bis vier Tage zum Nachreifen lagert, auf dem Leseband auswählt, zur
Maische verarbeitet und mit Reinzuchthefe ergänzt. Ein Fässchen mehr hätte er
vielleicht auflegen sollen, sinniert Rupert Lehle beim Verladen der Fässer vor
der Überlinger "Greth". Denn in seiner Besenwirtschaft daheim, fällt
ihm ein, ist nicht mehr viel vorhanden...
(Schwäbische Zeitung v. 15.10.09)