Eine schwimmende Brücke für ein sehr gemischtes Publikum

Einsam steht ein Taxi am Fährplatz in Meersburg – der Platz ist hell erleuchtet, aber weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Jetzt im Herbst sind nachts keine Boote auf dem Wasser, der See ist schwarz und leer. Nur ein weißer Fleck bewegt sich auf der ruhigen Wasseroberfläche und wird langsam größer: Hell erleuchtet läuft die Autofähre „Lodi“ in den Fährehafen ein. Sommer wie Winter fährt die „schwimmende Brücke“ auch die gesamte Nacht hindurch und bringt die Menschen von Meersburg nach Konstanz und zurück.

Ruhig ist es auch am Steuerstand, an dem Maschinist Alexander Siebrecht in dieser Nacht die Fähre über die rund 4,8 Kilometer lange Strecke zwischen Staad und Meersburg steuert. Die Instrumententafel blinkt, einzig der große Radar-Bildschirm erhellt das Führerhaus. „Zwei Grad nach Steuerbord“, schallt eine Stimme aus dem Lautsprecher – unbemerkt von den Passagieren läuft während der Überfahrt ein Training. Im anderen Führerhaus – in Richtung Konstanz am Heck der Fähre – sitzt ebenfalls ein Mitarbeiter, verfolgt den Radar-Bildschirm und dirigiert Siebrecht mit Anweisungen in den Fährehafen auf der anderen Seeseite. „In der Nacht ist es ruhiger, da können wir solche Dinge trainieren“, erläutert Schiffsführer Udo Weber. Dieses Manöver würde nötig werden, wenn einmal in einem Steuerhaus das Radar ausfallen sollte – auf diese Weise könnte die Fähre dennoch sicher die andere Seite erreichen.

Ruhig ist es aber nicht in allen Nächten. Wenn in Konstanz große Konzerte stattfinden setzen viele Besucher anschließend mit der Fähre wieder über den See – dann verkehren mehr Schiffe als sonst im Nachtbetrieb. Die Nächte mit der größten Frequenz sind während des Seenachtsfests: „Da haben wir schon mal 700 Personen an Bord“, erzählt Weber. Aber auch an normalen Wochenenden sind viele Fußgänger an Bord – Partygänger aus den Konstanzer Discos. „Man merkt auch, dass immer mehr Studenten keine Wohnung mehr in Konstanz finden und auf der anderen Seeseite wohnen und mit der Fähre pendeln“, sagt Siebrecht. Am Wochenende gehören sie mit zum Personenkreis, die nach den Feiern mit der Fähre zurück nach Meersburg fahren.

In den frühen Morgenstunden sind es dann die Berufspendler, die von beiden Seiten die schnelle Fährverbindung schätzen. Aber auch Lastzüge sind besonders am frühen Morgen auf der Fähre – „Obst und vor allem Lebensmittel werden über die Seeverbindung transportiert“, erzählt Weber. Die Schiffe transportieren oft aber auch ein ganz besonderes Gut: Blutkonserven und Organe für die Herzklinik und das Klinikum Konstanz. Wenn sich das Rote Kreuz ankündigt, wartet schon mal eine Fähre in Meersburg etwas länger oder legt sofort ab wenn das DRK-Fahrzeug aufgefahren ist. „Das hat natürlich Vorrang vor unserem Fahrplan“, stellt Weber fest.

„Wir befördern Menschen, ein schönes Gefühl und eine tolle Aufgabe“, formuliert es Weber. Er mag den Job, zum Einen weil er so abwechslungsreich ist und er mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun hat. Aber natürlich auch wegen der einmaligen Aussicht, die er von der Kanzel aus genießen kann. „So lange das Wetter schön ist. Bei einem Schneesturm im Winter auf der Fähre zu sein ist dann vielleicht weniger schön“, schmunzelt er. Auch wenn es nachts ruhiger ist als während des Tagbetriebes muss der Schiffsführer ebenso konzentriert sein. „In Sommernächten sind oft unbeleuchtete Boote unterwegs – und rund um das Schiff sieht man nur schwarz. Deswegen haben wir immer den Blick auf dem Radar“, erläutert Udo Weber. Zwar hätten die Fähren Vorrang, aber nicht alle Segler und Motorboot-Führer würden sich danach richten. „Da pocht man natürlich nicht auf sein Recht, Leben und Leben lassen“, beschreibt Weber die defensive Fahrweise der Bodensee-Fähren.

Junge und Alte, Berufstätige und Touristen, Betrunkene die auf dem Heimweg an Bord noch weiterfeiern und Pendler die in Ruhe ihre Morgenzeitung lesen – es sind ganz unterschiedliche Menschen, die Weber und seine Kollegen befördern. Eine Mischung, die für ihn den Beruf so interessant macht. Wobei er ein Paar nie vergessen wird: Ein Mann chauffierte seine hochschwangere Frau nach Konstanz ins Krankenhaus, als auf der Fähre die Wehen einsetzten. „Um ein Haar wäre ich da zum Geburtshelfer geworden“, erinnert er sich. Es war eine Sache von Minuten, das Kind kam schließlich im Krankenwagen auf dem Fährevorplatz in Konstanz zur Welt.

In dieser Nacht nun bleibt es ruhig. Als die Fähre weit nach Mitternacht in Meersburg wieder anlegt, stehen dort erneut nur wenige Autofahrer, die auf ihre Verbindung warten. In einer knappen halben Stunde werden sie Konstanz erreichen und ersparen sich so, mehr als 50 Kilometer durch die Nacht auf dem Landweg fahren zu müssen.

(Matthias Schopf/Schwäbische Zeitung v. 25.11.12)

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