Auf der
historischen Autofähre „Konstanz“
wird Meyerbeers Oper „Die Afrikanerin“ zum verjazzten Event im
Bodenseefestival
Die
Original-„Afrikanerin“ ist eine Opernkönigin, deren Liebe zum Seefahrer
Vasco da Gama und deren Ende unter dem lebensgefährlich duftenden
Manzanillo-Baum Giacomo Meyerbeer in einer „Grand Opéra“ verherrlicht hat:
Musikdrama im Größtformat des 19. Jahrhunderts. In Paris erreichte die Uraufführung
des Werks 1865, ein Jahr nach dem Tode des Komponisten, mit etwa 90
Orchestermusikern, zehn Bläsern hinter der Szene, 32 auf der Bühne, dazu Chören,
Ballettgruppen, 16 Gesangsolisten und üppiger Maschinerie einen
Sensationserfolg.
Im
Rahmen des Bodenseefestivals wagt das Konstanzer Theater eine Fassung mit
reduziertem Aufwand, aber mit aller Hochachtung vor dem Verfasser der herrlichen
Melodien. Es ist der kühne Versuch, Meyerbeer nicht untergehen zu lassen,
sondern seine Musik in neuer Version – behutsam durchjazzt und maßvoll
verpopt – lebendig zu halten und vom Indischen Ozean an den Bodensee mit
lokalhistorischem Charme zu transportieren.
Auf
dem Staader und Kreuzlinger Hafen wird die historische Fähre „Konstanz“
erst ankern, dann loslegen: Der dritte Akt spielt auf hoher See – und hier
wird auf nicht ganz so hohem Bodensee der Schauplatz zum Realvergnügen.
Auf dem Schiff wird geopert – und die 120 Kunstgenießer an Bord werden in etwas weniger als pausenlosen 120 Minuten (statt der durchkomponierten 230) erleben, wie man mit fünf Instrumenten (statt der 140 musizieren hier solistisch Flöte, Geige, Klavier, werkgemäß Schifferklavier und jazzbewandert Kontrabass) Meyerbeer in neu geschneiderte Klanggewänder stecken kann.
Was ganz neu sein wird, ist die Durchmischung des Solistenensembles. Da tönen nicht teuerste Kehlen der Großbürger-Oper, sondern es kommen allerlei Vortragstypen zum Zuge: Die Afrikanerin Selica (Siggy Davis) wird Jazz mit Koloraturen vereinen, die liebende Ines und der Inder Nelusco (Catrin Kirchner, Wieland Lemke) bleiben dem romantischen Opern-Gesang treu, während der Seefahrer Vasco (Ingo Biermann) als singender Schauspieler sich durch Chansontöne eigenes Klangprofil sichert.
Man wird sich überraschen lassen, wie der kompositionsgeübte Arrangeur Tobias Schwencke den alten Meyerbeer zu neuem Konzentrat destilliert hat, wie die Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic den Stoff mit seiner Fülle von Historie, Emotion, Dramatik, Zeremonien und Kontrasten (es geht vom Palast in Lissabon durchs Inquisitionsgefängnis auf den Bodensee-Weg nach Indien, in den Brahmatempel, am Ende in giftig duftende Gärten) nacherlebbar inszeniert hat.
Das Thema ist groß und gegenwärtig: Frauenliebe in globaler Welt gegen Männermacht und Unsterblichkeitsträume. Entgegen dem Text von Eugène Scribe wird ein eigener, weniger todbringend parfümierter Schluss gefunden, für Kenner überraschend, für „Afrikanerin“-Sympathisanten erfreulich. Die berühmte „Paradies“-Arie wird dadurch am Anfang gesungen und erfüllt sich am Ende mit irdisch-nobler Hoffnung.
Alles in einem Boot: Publikum auf Planken und einem Balkon, Beleuchter in der Höhe, Kulissen, Orchester und Spiel im vorderen Teil. Mögen zwei bedeutende jüdische Unsterbliche für verdienten Erfolg sorgen: Meyerbeer mit seiner Musik, Petrus mit seiner meteorologischen Macht.
(Helmut Weidhase/Südkurier v. 10.05.12)