Schwanengesang des Trajektverkehrs

Aus dem Trajektschiff "Rorschach" wurde 1983 die Autofähre "Friedrichshafen"

Als Ersatz für die klassischen, aber noch aus dem 19. Jahrundert stammenden Trajektkähne I und III, beschloss im Jahre 1965 die Kreisdirektion III der Schweizerischen Bundesbahnen in Zürich den Bau eines modern konzeptionierten Eisenbahnfährschiffes. Die Abmessungen des Neubaus entsprachen exakt genau dem 1958 in Dienst gestellten, damaligen Mehrzweckfährschiff "Romanshorn". Bei einer Länge von 55,5 Metern und einer Breite von 12,24 m konnten auf den Doppelgleisen 8-10 Eisenbahnwaggons übergesetzt werden. Personen wurden nur in Ausnahmefällen, wie beim Ausfall einer anderen Fähre oder eines Fahrgastschiffes befördert. Zu diesem Zweck war in den Unterdecksräumen eine fensterlose, nur mit künstlichem Licht beleuchtete Kajüte eingerichtet. Das Kommandodeck ausgenommen, gab es auf der "Rorschach" keine weiteren Aufbauten. Gebaut wurde die "Rorschach" auf der Bodanwerft in Kressbronn, die damals wie der Fährebetrieb der Konstanzer Stadtwerke ebenfalls zu den "Hoflieferanten" der Romanshorner Bodenseeflotte zählte. Bei einem Vergleich mit der  "Romanshorn", für zahlreiche Kenner auch heute noch eines der formschönsten Fährschiffe auf dem Bodensees, diente die "Rorschach" ausschliesslich dem Transport von Schienenfahrzeugen.  Das Be- und Entladen eines Trajektschiffes war für die Jugend am Schweizer- wie am deutschen Ufer immer ein spannende Angelegenheit. "Kommet schnell, s Zügle-Schiff legt wieder o!", riefen die "Häfler" Buben beim Einlaufen der "Rorschach". In Friedrichshafen diente für das Ladegeschäft in der Regel eine Rangierlokomotive des Typs V 60. Da die Trajektbrücke aus Sicherheitsgründen nicht für das Gewicht einer Lokomotive zugelassen war,  wurden die zu entladenden Güterwagen an eine Reihe kleiner Rollwägelchen gekoppelt. In Romanshorn stand für das Ladegeschäft eine Elektrolokomotive bereit. War eine Wagenreihe  entladen, so  verursachte die einseitig verteilte Last eine beträchtliche Schlagseite. An den Wochenenden ruhte der Trajektverkehr.  Im Winterhalbjahr wurde dann der Kursdienst auf der 12 Kilometer langen Querverbindung  wechselweise von einem Fahrgastschiff der DB oder den SBB übernommen.  Bis 1976 wurde auch der gesamte Postaustausch zwischen der ehemaligen DDR und der Schweiz über die Verbindung Friedrichshafen-Romanshorn abgewickelt. Der Schreibende erinnert sich noch an einen schweren Weststurm am 3. Januar 1974, als das Kursschiff "Säntis" bei der Ausfahrt aus Friedrichshafen unsanft gegen die Dalben der Ostmole gedrückt wurde, wobei einiger Sachschaden entstand. Während die "Säntis" im geschützten Romanshorner Hafen verblieb, wurden die drei restlichen Kurse von der durch Voith-Schneider-Propeller angetriebenen "Rorschach" übernommen. Um die  Stabilität zu erhöhen, wurde das Schiff zusätzlich mit vier Güterwagen beladen.

Als am 26. Mai 1976 der Trajektverkehr eingestellt und  bei  den Autofähren der Stundentakt eigeführt wurde, war die "Rorschach" beschäftgungslos geworden. Nur in Ausnahmefällen wurde das fast noch neuwertige Schiff für Aushilfsdienste verwendet. In der übrigen Zeit lag es untätig im Romanshorner Hafen.  Erst die bevorstehende Ausmusterung des 53 Jahre alten Fährschiffes "Schussen" verhalf der "Rorschach" zu einem  Comeback. Auf der Bodanwerft in Kressbronn begann über das Winterhalbjahr 1982/83 der Grossumbau. Es entstand ein geräumiges Fahrgastdeck mit einem Aufenthaltsraum. Die auf gleicher Ebene aufgebauten Steuerhäuser erinnern in moderner Ausführung an die früheren Vorkriegs-Fährschiffe der Konstanzer Verkehrsbetriebe. Die Umtaufe auf den neuen Namen "Friedrichshafen" wurde noch in der grossen Halle der Bodanwerft vollzogen. Nach abgeschlossenen Probefahrten konnte das Schiff am 1. April 1983 offiziell in Dienst gestellt werden. Allerdings hatte sich durch diesen Umbau die Leertonnage beträchtlich erhöht. Gegenüber den 343 Tonnen des Ursprungszustandes betrug die Wasserverdrängung nun 420,8 Tonnen. Bei einer zulässigen Personenzahl von 500 Fahrgästen konnten bis 44 Personenautos befördert werden. Am 20. April 1983 wurde im Rahmen einer Extrafahrt die altgediente "Schussen" von ihrer langjährigen Stammroute verabschiedet.  Da  es jetzt zwei Schiffe mit dem Namen "Friedrichshafen" gab, wurde eine Umtaufe des aus dem Jahre 1952 stammenden Fahrgastschiffes in "Langenargen" vorgeschlagen,  angeblich aber aus finanziellen Gründen nicht realisiert.

Besonders die älteren "Häfler" , die sich noch mit dem Traditionsschiff "Schussen" verbunden fühlten, konnten sich lange Zeit nicht mit der neuen Fähre anfreunden und bezeichneten die "Friedrichshafen" respektlos als "Sandwichboot".  Im Jahre 1990 wurde die bisher offene Hälfte das Oberdecks durch einen geschlossenen Fahrgastraum erweitert, wodurch das Komfortangebot für die Fahrgäste vor allem im Winterbetrieb erheblich verbessert wurde. Nachdem der Pachtvertrag mit der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt (SBS) abgelaufen war, wurde die "Friedrichshafen" im Jahre 1994 endgültig von den Bodensee-Schiffsbetrieben übernommen. Als am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1999 der Orkan "Lothar" auf dem See tobte, gelang es der "Friedrichshafen" nicht, in den Romanshorner Hafen einzulaufen. Mit 80 Tonnen Wasser im Schiff, musste sich die Fähre ständig aufkreuzend nch Friedrichshafen zurück kämpfen. Mehrere Ausmusterungen führten bei den Bodensee-Schiffsbetrieben häufig zu Engpässen im Kursverkehr. Als Notlösung wurden deshalb mittschiffs auf dem Fahrbahndeckvwer zwei seitliche Einstiege eingebaut. Damit war das Schiff universell einsetzbar und konnte auch im Liniendienst verwendet werden. Im April 2015 erhielt das Schiff zwei neue Antriebsdiesel des Fabrikates MTU mit einer identischen Leistung von 2 x 600 PS eingebaut. Eine umfangreiche Landrevision erfolgte von November bis Februar 2015/16. Die ehemalige "Rorschach" wird unter dem Namen "Friedrichshafen" noch über viele Jahre zuverlässige Dienste auf der traditionellen Querverbindung zwischen dem schwäbischen und dem Schweizerufer leisten.

(Karl F. Fritz)

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