Schönes Geläut auch an Land

Adventskalender der Häfler Geheimnisse: Die Glocke des Schaufelraddampfschiffs „König Wilhelm“

Einst erklang ihr Lied nicht an Land, sondern mitten auf dem Bodensee: Die kleine Glocke, die eine Wand im Eingangsbereich der Paul-Gerhardt-Gemeindekirche ziert, trägt ein spannendes Geheimnis in sich.

Sie wurde nämlich um 1900 nicht für eine Kirche, sondern für das 1901 erbaute Schaufelraddampfschiff „König Wilhelm“, das letzte Schiff der bekannten Königsschifflinie, gegossen. Wie der Chronist der Bodensee-Schiffsbetriebe, Karl Fritz, zu berichten weiß, trug die „König Wilhelm“ bis zu 600 Personen über den See – und zwar sowohl im Obersee-Längsverkehr zwischen Friedrichshafen und Bregenz als auch auf der damals noch bestehenden Strecke Friedrichshafen-Langenargen-Rorschach.

Bis 1938 dampfte die „König Wilhelm“ über den Bodensee, danach ging die Schiffsglocke in die Hände gläubiger Bewohner des Zeppelindorfes über. Und die wussten das Klanginstrument einer würdigen Folgenutzung zuzuführen, als sie die Glocke 1947 auf einem Dachreiter des frisch erbauten Kirchleins im Zeppelindorf aufhängten. „Die Glocke wurde per Hand schwingend geläutet“, berichtet der angehende Glockensachverständige Karl Reinhard Krüger. Da die Schlosskirche schwer beschädigt war, sei die Schiffsglocke jahrelang die einzige „evangelische“ Glocke gewesen, die in Friedrichshafen zum Gottesdienst läuten konnte, erzählt Krüger. Zu der ehemaligen Schiffsglocke hat der Organist in der Paul-Gerhardt-Gemeinde eine innige Beziehung entwickelt und das Klanginstrument ausgiebig untersucht. „Es heißt zwar, die Glocke erklinge in Fis, tatsächlich aber ist es eher ein Dis oder ein Es.

“ Der Ton, den man beim Anschlagen hören kann, sei der so genannte „Nominal“, der sich nur im Gehör bildet, erklärt Krüger. „Insgesamt besteht dieser Glockenton aus mindestens fünf Tönen, die sich im Gehör zu eben jenem Schlagton vermischen.“

Wenn sich die Glocke auch bereits an Land befand: Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lag der Rumpf der „König Wilhelm“ noch an der Außenmole in Friedrichshafen, dann wurden auch diese Schiffsreste verschrottet. Und so ist die Glocke in der Paul-Gerhardt-Gemeinde das einzige Relikt, das noch an dieses Schiff erinnert.

Der Adventskalender: Eva-Maria Bast und Julia Blust verraten an jedem Erscheinungstag vor Weihnachten ein Häfler Geheimnis, von dem heute noch Spuren in der Stadt zu finden sind.

Das Buch: Viele weitere Geschichten gibt's im Buch „Geheimnisse der Heimat. 50 spannende Geschichten aus Friedrichshafen“ von Eva-Maria Bast und Julia Blust. Edition SÜDKURIER, 14,90 Euro. Erhältlich im Buchhandel und auf www.buero-bast.de

Alle Teile des Adventskalenders: www.suedkurier.de/geheimnisse-fn

(Eva-Maria Bast/Südkurier v. 08.12.12)  

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