Lukas Bärfuss, Feridun Zaimoglu, Lena Gorelik und Norbert Gstrein präsentierten neue Texte auf dem Bodensee
Auf der „Karlsruhe“ hieß es: Leinen los für Literarisches. Gut 130 Damen und Herren mit Sinn für Sprach- und Erzählkunst teilten sich Haupt- und Oberdeck. Sie lauschten auf der fünfstündigen Lesereise über den schaumgekrönten Wellen des Bodensees den vier Büchermachern Lukas Bärfuss, Feridun Zaimoglu, Lena Gorelik und Norbert Gstrein.
Zu vier Kontinenten ging's. Die Bücher führten von Afrika über Europa nach Asien, am Anfang hörte man dazu vom Präsidenten des Internationalen Bodensee-Clubs, Josef Bieri, in heiterer Gruß- und Dankadresse, er komme gerade aus Australien. Los ging es in Konstanz, Zustiege waren in Kreuzlingen und Meersburg möglich. In der Seemitte, wo der Wind das Schiff samt Gläsern und Tassen schüttelte, wurden vier literarische Novitäten von ihren Autoren präsentiert, jeweils mit Prolog, den Oswald Burger informativ und pointiert formulierte. Die Texte auf „hoher See“ bedienten Erwartungen ans Weltweite und Wortreiche. Zuerst Polit-Moralistisches, dann eine Wörtersammlung, danach eine Portion Pikaroroman, am Ende eine pubertäre Visionsgeschichte.
Der Schweizer Lukas Bärfuss begann am kleinen Tisch, vor sich Lampe, Mikrophon und Buch. Er las wie sein Text ist: Kühl, schier protokollarisch, hart in Inhalt und Diktion, ohne Sprechtheatralik.
Sein Roman „Hundert Tage“ handelt vom Menschenmassaker in Ruanda, und der Schriftsteller, der diese Leidens- und Verzweiflungsgeschichte von einem Entwickungshelfer berichten lässt, erweist sich als „Instanz für nicht beantwortbare Gegenwartsfragen“. Fordert der Autor „die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins zu universeller Gerechtigkeit“, hört man den Moralisten. Erlebt der „Held“ afrikanische Dunkelheit („die Nacht fällt wie ein Fallbeil“), geht eine Poesie des Schreckens unter die Haut. Halbstündige Textprobe – Fazit: Kigali 1990 bleibt aktuell.
Feridun Zaimoglu las ein Kontrastprogramm: Duisbuger Kioskgeplauder im Stil neuer Simplizität mit Krimireizen, Vulgärvokabalen und niederrheinischer „Kanak Sprak“, wie der Titel des Kult- und Kabarettbuchs des deutschen Schriftstellers aus Anatolien lautet. Man hört seinen unangestrengten Vortrag, gelassene Routine, affektfrei, salopp. In kaum mehr als einer Minute formuliert er sechsmal „sagte der Mann, sagte Karl etc.“ Der Umgangsstil erreicht nicht die Qualität einzelner Bilder („Schnee auf dem Meisenknödel“). Man hört: Zaimoglu ist auch Maler. Sein Buch trägt den Material- und Farbtitel „Ruß“.
Aus dem einstigen „Leningrad“ stammt Lena Gorelik, die mit dem Romanbeginn über Onkel Grischa aus „Die Listensammlerin“ erfreute und überzeugte. Hier wird der Schelmenroman wiederbelebt, dazu eine Erzählkunst mit wohldosierter Mischung aus Beschreibung, Handlung, Reflexion gepflegt. Wie der junge Onkel an Stalins Todestag dem Diktator Grimassen statt Tränen opfert, ist ein Kabinettstück aus den Hinterlassenschaften der (vom Roman „aufgelisteten“) Großmutter-Papiere.
Der Österreicher Norbert Gstrein nimmt sich in seinem 8. Roman („Eine Ahnung vom Anfang“) großer Fragestellungen und Fragwürdigkeiten an. Typus: Erziehungsroman. Ein Pädagoge will Schüler zum Selbstbewusstsein durch ästhetische Erfahrung führen, doch Schüler David gerät vom „scheinphilosophischen Tiefsinn“ in eine skandalöse Weltverbesserungsmanie, eine Erlösung von weltreligiösen „Kriegsgott“-Eigenschaften propagiert. Ein Text, stark an Problematik, Sprache, Handlung. So endete die Litera-Tour mit Welthorizont, schließlich beruhigtem Wind und gesprächsintensivem Abschied im Konstanzer Hafen. Präsident Bieri versprach: Die IBC Litera-Tour fährt alle Jahre wieder!
(Helmut Weidhase/Südkurier v. 07.10.13)