Bodenseefestival in Friedrichshafen: Drei Autoren stellen Reiseliteratur vor
Und wieder ist beim Bodenseefestival das Literaturschiff
„Hohentwiel“ in See gestochen. 19 Mal ist das bislang geschehen, nur 2002 hat es stattdessen
eine Literaturnacht im Spiegelzelt gegeben.
Wenn für das herausragende Lese-Event je ein Platz frei ist, dann nur, weil jemand sehr kurzfristig verhindert war.
Freiwillig verzichtet niemand auf die abendliche Fahrt im königlichen Salondampfer, auf die ausgesuchten Lesungen, das nostalgisch gepflegte
Ambiente.
Franz Hoben, im Kulturbüro der Mann für Literatur, hat wieder eine feine Auswahl getroffen, eine Autorin und zwei
Autoren. Reiseliteratur im weitesten Sinn, vom poetischen Text des Joachim Sartorius, der an gepflegtes Reisefeuilleton erinnert, über die
kunstvoll gebaute Erzählung von Jonas Lüscher zur irreal anmutenden und doch durchaus denkbaren fiktiven Biografie von Felicitas Hoppe.
Oder: von der Beschreibung einer Inselgruppe vor Istanbul über Tunesien nach Kanada, Australien und Deutschland.
Grau ist es draußen und recht kühl, ein starker Gegensatz zu den sonnenverwöhnten „Prinzeninseln“ im Marmarameer,
wohin Joachim Sartorius seine Zuhörer im gleichnamigen Bändchen entführt. Er formuliert in gepflegter Sprache, lässt uns an dem teilhaben,
was er sieht, und schöpft aus reichem Hintergrundwissen. Eine ehemals mondäne Insel in der Nachsaison, ein Hauch von Morbidität, die
ungemein lebendig und spannend sein kann. Einzelne Menschen, so angelegt, dass man gern mehr von ihrem Schicksal erfahren würde. Der Leser
glaubt Leo Trotzki vor sich zu sehen, wie er von zwei Leibwächtern über das stille Wasser gerudert wird, und fühlt mit dem 14-jährigen
Mädchen, das dem Boot zu nahe kommend eingeschüchtert wegschwimmt.
In einem wellenartigen Rhythmus lesend, in den man sich erst einhören muss, schildert Jonas Lüscher in seiner Novelle
eine Hochzeitsgesellschaft in Tunesien. Sie ist aus England angereist, um die Hochzeit als außergewöhnlichen Event zu begehen. Wie es sich
für eine Novelle gehört, wirbelt ein ungewöhnliches Ereignis die Menschen gründlich durcheinander, stellt eigentlich deren Welt auf den
Kopf. Eine kunstvolle Konstruktion, eine sehr gut durchdachte Anlage, dazu die passende Sprache: Literatur vom Feinsten.
„Hoppe“ heißt das schmale Buch von Felicitas Hoppe. Sie erinnert daran, dass es ohnehin die Art des Menschen sei, die
eigene Biografie zu beschönigen. Also habe sie eine erdachte, ganz andere Biografie entwickelt.
Surreal ist diese Konstellation, aber so wie es erzählt wird – viel in direkter Rede und damit sehr nah – eine
durchaus reale Welt. Gedankenspiele konsequent durchgeführt, eine Wunschwelt als fiktive Realität. Kein Wunder, dass Felicitas Hoppe unter
anderen den wichtigen Büchnerpreis erhalten hat. Man genießt ihre Lust am Fabulieren, die Verknüpfung der verschiedenen Welten und ihre
offene Art. Sie sucht während des Lesens den Kontakt zum Publikum.
Dunkel ist es geworden, ruhig liegt der See. Die meisten werden bald das nächste Literaturschiff buchen.
(Helmut Voith/Schwäbische Zeitung v. 02.06.14)