«Marie» war bereits 20 Jahre alt und beinahe
schrottreif, als sie in den Besitz des Seerettungsdienstes Rorschach übergegangen
war. Der Verein, der zwei Jahre zuvor im Restaurant Kreuz – heute steht an
seiner Stelle die Coop-Filiale – gegründet worden war, stand von Anfang an
unter keinem guten Licht, wie ein Brief von Vereinsmitglied Ernst Huber aus dem
Jahr 1974 belegt. «Die finanziellen Mittel fehlten vollständig und man bemühte
sich, durch Zirkularschreiben, Bettelbriefe, Abzeichenverkauf und so weiter zu
Geld zu kommen», schreibt er.
«Wenn Alarm geschlagen wurde, lief aus, wer
ein Boot hatte», sagt sich Josef Mazzel, der 1955 Mitglied des
Seerettungsdienstes geworden ist. Meist seien es Boote des Bootsbauers Füllemann
gewesen, oder das des Fischereiaufsehers. Auch er kenne diese Zeit nur aus Erzählungen.
Es sollten zwei Jahre vergehen bis die Seeretter mit ihrem eigenen Boot
auslaufen können.
In den Jahren nach der Gründung, erinnert er
sich, war das anders: «Wir hatten damals noch kein eigenes Depot», sagt Josef
Mazzel, der auch heute noch ein wachsames Auge auf den Bodensee wirft. Alle
Rettungsutensilien sind damals in einer Kiste hinter dem Kornhaus aufbewahrt
worden. Im Notfall riefen Hilfesuchende im Geschäft von Ernst Huber an der
Neugasse an, der dann eine Rettungsmannschaft zusammenstellte und ein Boot für
den anstehenden Einsatz organisierte. Heute mobilisiert die kantonale
Notfallzentrale die Mitglieder des Vereins mittels moderner
Kommunikationstechnologie.
Mit Glück und Geschick gelang es dem Verein
unter seinem ersten Präsidenten, Otto Idtensohn, ein Boot zu erlangen. Der
Verein schaffte es, den Verkaufspreis von 1500 Franken – in den 1950er-Jahren
war das eine stattliche Summe – herunterzuhandeln. Sie bekamen das Motorboot
am Ende geschenkt. Sie hatten nun ein Boot: «Marie», ausgesprochen mit kurzem
I am Ende.
Die «Marie» war ein Motorboot aus Holz,
wurde im Jahre 1930 in der Rorschacher Füllemann-Werft gebaut und diente vor
ihrer Übernahme durch den Seerettungsdienst als Boot des Fischereiaufsehers. «Wind
und Wetter setzten dem alten Boot gehörig zu, und es wurde als unzulässig
abgeschrieben», schrieb Huber. Dem Verein war das egal. Während 900
Arbeitsstunden und mit finanziellem Aufwand von 5000 Franken wurde das Boot auf
Vordermann gebracht. Für Pikett- und Einsatzfahrten haben die Vereinsmitglieder
das Benzin für «Marie» selbst mitbringen müssen, denn der Seerettungsdienst
war noch nicht aus den Miesen.
Am 5. Juli 1952 hatte die «Marie» ihren
ersten großen Einsatz: Während eines Föhnsturmes gerieten mehrere Boote in
Seenot. Das Boot bestand den Härtetest. Doch trotz der erfolgreichen Einsätze
und der Renovierungsarbeiten hatte die «Marie» ihre Macken. «Sie war ein
Holzboot. Daher leckte sie im Frühjahr nach dem Einwassern», erinnert sich
Josef Mazzel lachend. Erst Mitte der 1950er-Jahre wurde das Boot permanent mit
einer Polyesterschicht abgedichtet. Auch gab es immer etwas am Motor zu
reparieren. «Otto Idtensohn war unser Mechaniker. Da kam es vor, dass er den
Motor zerlegt hatte und Alarm geschlagen wurde.»
«Marie» hielt Wind und Wetter stand. Nach 21
Dienstjahren wurde das 120 PS starke Boot im Jahre 1973 von ihrer Nachfolgerin,
«Marie II», abgelöst, nachdem der Seerettungsdienst seine Flotte 1964 um das
Boot «Neptun» verstärkte. Es folgten die Boote «Christophorus» im Jahre
1984, und1991 wurde «Neptun II», das «Neptun» ersetzte, angeschafft.
(Dominik
Bärlocher/St. Galler
Tagblatt v. 09.01.11)