Ein Seebär
geht von Bord
Toni Arnold zieht die Handschuhe über und
macht die Taue los, die die Fähre an die Pfähle binden. Zentimeter um
Zentimeter hebt sich die Landebrücke, langsam löst sich die Fähre
«Euregia» vom Festland. Kapitän Toni Arnold rollt die Taue auf und zieht
die Handschuhe wieder aus. Die Fähre wendet und verlässt den Romanshorner
Hafen in Richtung Friedrichshafen. Der alte Kapitän nimmt seinen schwarzen
Koffer und steigt die Treppe hinauf, zur Brücke, wie er es schon unzählige
Male getan hat. 1972 begann er als Matrose bei der Bodensee-Schifffahrt. Diese
Fahrt ist eine seiner letzten. Der 63jährige Seemann geht in Pension.
Mancher träumte als Bub von der hohen See und
Abenteuern in fremden Ländern. Nicht Toni Arnold. «Geboren wurde es in der RS»,
sagt er. Es war das Jahr 1965, Arnold und zwei seiner Kameraden hätten
weitermachen sollen. Jetzt prangen drei dicke goldene Streifen auf seiner blauen
Uniformjacke, doch mit 20 schwebte ihm keine Offizierskarriere vor – zumindest
nicht im Militär. «Es hat uns gestunken, weiterzumachen», sagt Arnold. «Da
haben wir gedacht: Auf dem Meer können sie uns nicht holen.» Einer der drei
sprang ab, Arnold aber und sein Kamerad heuerten bei der Reederei Swiss Outremer
an, Frachtschifffahrt unter Schweizer Flagge. Der gelernte Maschinenschlosser
begann als Motorwart. Erste Touren führten ihn um Europa, dann fuhr er nach
Rangun, im damaligen Burma.
«Es war ein wildes Leben», sagt Arnold über
seine Zeit auf hoher See. «Man ist völlig frei, muss keine Steuern bezahlen.»
Er habe schon sein Vergnügen gehabt, sagt Arnold. Es gab aber auch viel zu tun.
«Wir mussten kreativ arbeiten. Auf hoher See kann man nicht einfach in einen
Laden gehen und ein Ersatzteil kaufen.» Doch nach dreieinhalb Jahren ging er
wieder an Land. Man müsse schauen, dass man rechtzeitig aufhört, sagt Arnold.
Ein Steuerrad gibt es auf den Bodenseefähren
nicht mehr. Mit zwei Joysticks werden heute die vier Propeller des Schiffs
bedient. Aus dem Fenster des Steuerstandes ist der Bug nicht zu sehen, es sieht
aus, als schwebe man über dem Wasser auf Friedrichshafen zu. «Jeder Tag ist
anders», sagt Toni Arnold. «An einem Tag sieht man die Sonne aufgehen, an
einem nebligen Tag sieht man nur eine weiße Wand.» Dann muss man das Schiff
mit dem Radar steuern. «Diese Naturschauspiele werde ich vielleicht vermissen.»
Drei Jahre hielt Arnold als Landratte aus. Zurück
in der Schweiz arbeitete er in Zürich, doch 1972 sah er eine Stellenanzeige der
Bodensee-Schifffahrt. Sie suchten Matrosen. «Das Wasser hat mich schon
angezogen», sagt er. So brach er auf zu neuen Küsten. «Der Bodensee war für
mich als Aargauer Neuland. Man sagt ja, hinter Winterthur höre die Schweiz auf.»
So begann Toni Arnold, vierter
Maschinenoffizier auf den Weltmeeren, als einfacher Matrose auf dem Bodensee. «Selbst
wer auf dem Meer Kapitän war, muss hier unten anfangen», sagt er. Doch mit
seinem Wissen von Motoren habe er schon etwas einbringen können. «Auf
jemanden, der noch nie einen Schiffsmotor gesehen hat, wirken die Motoren hier
riesig», sagt Arnold. Doch gegen die Motoren der Hochseeschiffe seien sie
klein. Trotzdem gab es für ihn einiges zu lernen. Zuerst galt es, den See
kennenzulernen, die Orte und Landschaften rundherum. «Das haben damals die
Alten den Jungen weitergegeben.» Heute, seit der Privatisierung, sei dies
schwieriger geworden. «Es gibt mehr Wechsel, viele kommen nur für kurze Zeit.
Man bildet sie aus und im Sommer sind sie nicht mehr da. Denn eine
Festanstellung bekommen sie nicht», sagt er.
Die «Euregia» hat in Friedrichshafen
angelegt. Die Besatzung plaudert mit den Zöllnern, während die Passagiere von
Bord gehen. «Wir haben ein gutes Verhältnis mit dem Zoll», sagt Arnold. Der
Kontakt mit Zöllnern und Gästen sei ein wichtiger Teil der Arbeit, auch wenn
man als Schiffsführer etwas weniger davon habe. Aber auch untereinander sei die
Kollegialität phantastisch. «Wir sind ein Betrieb, in dem jeder für jeden
arbeitet», sagt Arnold.
Dass er so lange auf dem Bodensee bleiben würde,
hätte er nicht gedacht, als er 1972 zur Bodensee-Schifffahrt kam, sagt Toni
Arnold. Doch er stieg die Leiter empor, vom Matrosen zum Maschinisten und
Kassier, bis er 1985 Kapitän wurde. Die Schönheit des Sees und die Arbeit
haben ihn gehalten. «Auf dem Schiff bin ich mein eigener Chef», sagt Arnold.
«Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wegzukommen.» Am Sonntag geht er aber endgültig
von Bord. Vor einem Jahr habe er begonnen, seine Frühpensionierung
aufzugleisen. Gesundheitliche Probleme im letzten Jahr seien ein Fingerzeig
gewesen – jetzt ist es soweit. Ob er die Schiffe vermisst, das sehe er dann.
Nach dem Meer habe er auch kein Heimweh gehabt, sagt Arnold. «Wenn ich etwas abschließe,
dann schließe ich es ab. Aber ich erinnere mich gerne an eine schöne Zeit.»
(Kaspar Enz/St. Galler Tagblatt v. 28.11.08)