Der Schweißbrenner zischt, Funken regnen im Dämmerlicht, Werftarbeiter in Mechanikeranzügen hantieren mit kreischender Trennscheibe am Rumpf des aufgedockten Motorschiffs Graf Zeppelin. Ein paar Meter weiter kommt der Geruch von trocknender Grundierfarbe auf Kühleraufsätzen entgegen: Die Verabredung mit dem Chef Technik und Werftleiter der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft AG ist ein Eintauchen in eine surrealsinnlich technische Welt.
Die Facetten des Schiffsbaus faszinieren Martin Böller, seit er 1972 das Studium als Maschinenbau-Ingenieur abgeschlossen hat. Korrosionsschutz, Hydraulik, Aggregate, Motoren, sanitäre Anlagen, Haustechnik, die Elektronik in den Navigationsgeräten - «die große Palette ist eine Herausforderung für einen Allrounder», erklärt der Romanshorner. Vor dem Fenster des lichtdurchfluteten Büros mit Blick auf den Bodensee dümpeln ein deutsches Feuerlöschboot und die «Schwaben», warten darauf, fachmännisch überholt zu werden. Die Revisionen gehören zum winterlichen Werftalltag, wenn die Schiffsaison abgeschlossen ist. «Wir sind zu mehr als 100 Prozent ausgelastet», sagt Martin Böller nicht ohne Stolz. Die ausgebaute Werft ist ein kleines Unternehmen - Herzstück des geschrumpften Schiffsbetriebs, der unter dem Schutz der SBB-Mutter noch bis zu 56 Festangestellte umfasste. Heute sind noch 42 Mitarbeiter angestellt, das Personal aus dem Schiffsdienst und die Aushilfen mitgezählt.
Effizienzsteigerung im Werftbetrieb lautete die Vorgabe 1998, als Martin Böller seine heutige Tätigkeit antrat. Dieses Ziel ist erreicht. Mit einem erwarteten Umsatz von zwei Millionen Franken 2003 ist die Werft zum starken Standbein der SBS geworden. Im nächsten Jahr soll der Personenverkehr die Hälfte des 10-Millionen-Budgets erbringen, zwei Millionen sollen durch die Schiffsgastronomie und eine Million durch die Mieteinnahmen des SBS-Bootshafens aufgebracht werden. Das sind stolze Vorgaben. Böller, dies die Erwartung des Verwaltungsrats, muss den Vorjahres-Umsatz um 10 Prozent übertreffen.
Der 54-Jährige ist seit 1975 bei den Schweizerischen Bundesbahnen tätig, seit 1982 als Betriebsleiter bei der Bodensee-Schifffahrt. Dem Unternehmen bläst seit der Ablösung von den SBB 1996 ein rauer privatwirtschaftlicher Wind entgegen; finanziell steht es immer noch auf wackligen Beinen. Mitte September wurde der Romanshorner zum neuen Geschäftsführer der SBS AG gewählt. Auch in dieser Funktion bleibt er für die Werft zuständig. Seit Dezember 2001 hatte Böller stellvertretend für den erkrankten Hans Ludin die Geschäfte geführt. Die SBS muss sich wie die übrigen Bodenseeflotten-Betreiber in einem durch internationale Vereinbarungen stark eingeschränkten und wetterabhängigen Markt behaupten. Das bedeutet schwankende, nicht kalkulierbare Zahlen.
Der Kostendeckungsgrad der Kursschifffahrt liegt bei lediglich 70 Prozent. «Man kann die traditionelle Schifffahrt von März bis September mit Themenschiffen wie Landbier-, Piraten- oder Fondueschiff ergänzen, aber sie lässt sich nicht neu erfinden», behauptet Martin Böller. Die Erlebnisschifffahrt hat auch eine Kehrseite: damit werden Schiffe gebunden. 34 Passagierschiffe (ohne jene der Stadtwerke Konstanz) verkehren auf dem Bodensee. Die SBS AG besitzt fünf davon - dazu die Hälfte der Fähre «Euregia», die zwischen Romanshorn und Friedrichshafen verkehrt. Kosten und Ertrag der Fährverbindung werden je hälftig von Deutschland und der Schweiz getragen.
Ungedeckte Kosten haben bisher ein großes Loch in die Kasse der SBS gerissen. Linien, die ausschließlich dem Ausflugsverkehr dienten, blieben bisher von Bundesleistungen ausgeschlossen. Die SBB-Tochter deckte ihre Defizite aus den erfolgreichen Sparten Werft und Bootshafen, was aber nicht ausreichte. Im Juni 2002 wurden die Rahmenbedingungen neu definiert, die Fährverbindung Romanshorn-Friedrichshafen damit abgeltungsberechtigt: Gemäss den Bestimmungen des Schweizerischen Eisenbahngesetzes wird nicht länger vom Bild der reinen Vergnügungsschifffahrt ausgegangen, sondern von bestellter öffentlicher Leistung. Damit fließen erstmals Beiträge von Bund und Kanton Thurgau - im laufenden Jahr 538 000 Franken, 2003 werden es 620 000 sein. Bei der Uferschifffahrt ist die Sache komplizierter: Im Thurgau wird «von nicht wegzudenkender touristischer Infrastruktur» ausgegangen. Kanton und Ufergemeinden leisten 2003 erstmals 235 000 Franken. Im Kanton St. Gallen hingegen besteht noch keine gesetzliche Handhabe für die Unterstützung durch die öffentliche Hand.
«Mit dieser Leistungsvereinbarung besteht zwar eine gewisse Sicherheit, aus dem Schneider sind wir damit aber noch nicht», stellt Martin Böller klar. «Die Höhe dieser Beiträge muss jedes Jahr neu verhandelt werden. Bleiben sie aus, müssen wir unser Angebot massiv reduzieren.» Der neue SBS-Geschäftsführer ist unter Druck: Sonderfahrten, Charterverkehr, Werft und Gastronomie müssen Gewinn abwerfen. Die SBS soll ihren Ertrag in den nächsten vier bis fünf Jahren steigern, damit Rücklagen gebildet werden können. Martin Böller liebäugelt mit Leistungsvereinbarungen mit der Thurbo AG, einer anderen SBB-Tochter. «Die Verbindung von Schiene und Schiff wäre vor allem im Gruppenreisen-Sektor interessant», findet Martin Böller.
Auch auf dem Bodensee ist die Schifffahrt ein schwieriges Geschäft. Die fetten Jahre sind vorbei, die Margen tief. Es droht zwar nicht der finanzielle Schiffbruch wie am Bielersee, aber die SBS kämpft seit Jahren mit Defiziten.
Dank ganzjährigem Stundentakt und verstärkten Marketinganstrengungen stieg die Zahl der Passagiere zwischen 1995 und 2001 um 14 Prozent auf 141 000 Personen und jene der Fahrzeuge um 13 Prozent. Fast 90 Prozent des Budgets sind zweckgebunden - sie werden für Löhne, Material und den schwefelfreien Dieseltreibstoff verwendet, der in der Schweiz Standard werden soll. 2002 war für die Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft AG unbefriedigend. Bis Ende September sind im Ausflugs- und Sonderfahrtenverkehr lediglich 114 000 Personen befördert worden. Mit der Fähre setzten rund fünf Prozent weniger Passagiere als im Vorjahr über.