«Der Kapitän kam gleich nach dem Herrgott»

Seit nahezu vierzig Jahren befährt Kapitän Beat Joss mit  Begeisterung das Wasser, das den Rhein hinunterfliesst .

Wir sitzen im Restaurant des Motorschiffes «Stein am Rhein», es ist Samstag, elf Uhr, noch vier Stunden, bis es heißt: «Leinen los!» Beat Joss trägt einen dunkelblauen Pullover mit vier goldenen Galons (Streifen) an den Achselpatten . «Wohin solls denn heute gehen?» - «Wir fahren mit einer Hochzeitsgesellschaft nach Stein am Rhein und wieder zurück . » Offiziell wird die Saison allerdings erst am ersten April eröffnet . Dann legen die Kursschiffe wieder um 9 . 10, 13 . 10 und 15 . 10 Uhr in Schaffhausen ab - bis zum 22 . April samstags, sonn- und feiertags, danach täglich -, um ihre rund viereinhalbstündige Fahrt nach Konstanz und Kreuzlingen anzutreten .

Mit etwa zehn Kilometern pro Stunde geht's den Rhein hinauf . Diese Strecke gilt als «eine der schönsten Stromfahrten Europas», so steht's in den Prospekten . Für den Schiffsführer hat es die Fahrt in sich, vor allem im Sommer, wenn auch viele Plauschböötler mit den eigenen Vehikeln zwischen den unverbauten Ufern unterwegs sind . Und das meistens völlig sorglos . «Die Leute», sagt Beat Joss, «sind sich nicht im Klaren darüber, dass der Rhein ein relativ schnell fließendes Gewässer ist und unsere Schiffe nur einen sehr engen Fahrweg zur Verfügung haben . »

Dieser ist mit den so genannten Wiffen markiert . Die Männer in den Steuerhäusern der Schiffe - noch gibt es keine Kapitänin - müssen vorausschauend fahren, schließlich können sie ihr Gefährt nicht einfach anhalten wie ein Auto . «Am Ende des Tages bin ich immer glücklich, wenn nichts passiert ist und wir sicher im Hafen angekommen sind . »

Der Seebub vom Zürichsee

Auf seinen Zürcher Dialekt angesprochen, sagt Beat Joss: «Ich bin in Küsnacht an der Goldküste aufgewachsen, aber meine Mutter ist eine Ermatingerin, und als Kind verbrachte ich meine Ferien oft bei den Grosseltern am Untersee . » Und wie wurde er Kapitän? Die meisten Schiffsleute hätten eine handwerkliche Ausbildung, sagt Beat Joss, er aber habe eine Handelsschule in Neuchâtel besucht und habe in den Ferien jeweils als Matrose angeheuert, sei dann hängen geblieben und habe sich nach und nach hochgearbeitet . 1989 wurde er in den Kapitänsrang erhoben, nachdem er als Schiffsführer fünf Jahre tadellos abverdient hatte .

«Und wie wird man Schiffsführer?» - «Nun, Sie müssen zwei, drei Saisons lang unter Anleitung den Strom befahren haben . Außerdem wird die Theorie geschult, und zwar in Oberrieden und Zürich-Wollishofen zusammen mit den Zürichseenautikern . » Es folgt die theoretische Prüfung beim Eidgenössischen Amt für Verkehr in Bern, für die Abnahme der praktischen Prüfung kommt ein Experte an Bord des leeren Schiffes, und der Kandidat muss zeigen, was er kann .

Die Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein (URh) besitzt sechs Schiffe . Sie werden von insgesamt neunzehn Personen gefahren, jeweils drei pro Einheit: Kapitän, Maschinist, Kassier . «Was hat sich in den letzten vierzig Jahren verändert?» - «Früher kam der Kapitän gerade nach dem Herrgott, heute ist der Umgang viel kollegialer und herzlicher . » Und natürlich sei die technische Entwicklung im Schiffbau nicht stehen geblieben . Auch seien die Komfortansprüche der Fahrgäste heute viel höher . «Früher sahen die Schiffe bisweilen fast wie Hongkongfähren aus . »

Das «Konstanzerli» für Nostalgiker

Und als Beat Joss bei der URh anfing, hing die alte «Schaffhausen» noch am Katharinental oben, das war kurz vor dem Entscheid, den Raddampfer zu verschrotten . «Und was, wenn man ihn als Rekonstruktion auferstehen lassen würde?» Das seien Nostalgieträume, sagt Beat Joss, der sich nicht vorstellen kann, ein solches, für die Fahrgäste unbequemes Schiff, das vom Heck aus gesteuert wurde, durch die Schlauchbootpulks zu manövrieren .

Wer per Nostalgieschiff reisen will, muss heute mit dem «Konstanzerli» vorlieb nehmen, Baujahr 1925, Jugendstil, ein Bijou . Beat Joss fährt darauf wie auch auf der «Stein am Rhein» . Sein absolutes Lieblingsschiff sei bis zu ihrem Verkauf allerdings die «Kreuzlingen» gewesen . «Jedes Schiff ist anders zum Fahren, jedes ist ein Prototyp, jedes war beim Bau eine Herausforderung für die Bodan-Werft in Kressbronn . » Es gelte, Limiten einzuhalten bei der Breite, dem Tiefgang; aber beim Komfort dürften dabei keine Abstriche gemacht werden .

In Osteuropa Touristen «anheuern»

Und wie sieht die Freizeit von Kapitän Joss aus? Er lebt getrennt, hat einen großen Freundeskreis, sucht nach einem zehn- bis zwölfstündigen Tag auf dem Schiff aber vor allem die Ruhe, liest viel und lernt zurzeit Russisch . Französisch, Englisch und Polnisch kann er schon . Polnisch? Ja, denn während seine Kollegen, die gelernten Sattler, Schlosser, Schreiner und Maler, während des Winters in der Langwieser Werft die Schiffe überholen - «der Unterhalt der Schiffe ist unsere Lebensversicherung» -, reist Beat Joss als Businessman, den die Tourismusbranche schon immer fasziniert hat, mit dem Zug durch ganz Europa, um Gruppen zu bewegen, auf Untersee und Rhein eine Reise zu buchen . Und er ist damit erfolgreich . Insbesondere in Osteuropa, wo er ein «enormes Potenzial» ortet, denn: «Die Menschen dort haben im Gegensatz zu den meisten hier ein großes Kulturverständnis . Und wir leben in einer ganz wichtigen Kulturregion . »

Nur ein Stichwort dazu: UNESCO-Welterbe Insel Reichenau . «Letztes Jahr hat beispielsweise ein Geschäftsmann aus Moskau mit seiner Familie und der ganzen Entourage eine Extrafahrt gebucht . » Aber auch aus dem Elsass holt Beat Joss die Leute . «Das Gruppengeschäft ist für uns ein sehr gutes Geschäft . Und der Heimmarkt ist zu klein . » Ausserdem seien der URh wegen der zahlreichen äußerst preiswerten Tages- und Saisonkarten tariflich die Hände gebunden, ganz im Gegensatz zu den Gesellschaften auf dem Genfer- oder dem Vierwaldstättersee .

Blickt optimistisch in die Zukunft

Dennoch blickt Beat Joss optimistisch in die Zukunft . «Wir haben viele Stammkunden und mussten keine solchen Einbrüche bei den Fahrgastzahlen wie etwa unsere deutschen Kollegen auf dem Bodensee hinnehmen . » Allerdings wünscht sich der Kapitän, dass sich die Politik der Kantone Schaffhausen und Thurgau - «80 Prozent der Stationen liegen am Ufer dieses Kantons» - sowie die Seegemeinden mit einem tragfähigen Leistungsauftrag hinter die URh stellen, sie aber im Status einer privaten Aktiengesellschaft belassen, damit sie sich weiterhin so agil im Markt bewegen kann . «Wir bringen sehr viel Kaufkraft in die Region . » Und Beat Joss sieht Bedarf für ein neues, mittelgroßes Schiff mit geringem Tiefgang, um die einheimischen Wellen auch im Winter zu durchpflügen, mit einem bescheidenen Kursverkehr an den Wochenenden etwa sowie mit Eventfahrten .

Wenn es so weit ist, wird wahrscheinlich ein junger Kapitän den Platz von Beat Joss eingenommen haben . «Aber», sagt er, «ich werde auch nach meiner Pensionierung weiterhin am See anzuteffen sein . Ich möchte nämlich in Stein am Rhein, wo ich wohne, im Sommer den Hafendienst übernehmen und mit meinen Sprachkenntnissen den Touristen dienen . Solange ich geistig voll da bin . » Er lächelt, und wir machen im Steuerhaus das Foto .

(Alfred Wüger/Schaffhauser Nachrichten v. 30.03.07)

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