Nach dem Kollisionskurs auf dem Bodensee ein Interview mit Verkehrsexperte Jean-Christophe Thieke über die Schifffahrt im Allgemeinen, das Angebot und das konstruktive Miteinander der Betriebe.
Der Kollisionskurs zwischen BSB und Schiffsunternehmer Heidegger lenkt den Blick auf die Bodensee-Schifffahrt im Allgemeinen. Jean-Christophe Thieke hat wie kaum ein anderer den Überblick.
Wie schätzen Sie das Angebot für die Personenschifffahrt auf dem Bodensee ein?
Als Bürger und Gäste können wir uns glücklich schätzen, von März bis Oktober auf dem See ein flächendeckendes und täglich verkehrendes Angebot vorfinden zu können. Die vergleichsweise lange Schifffahrtssaison ist eine wesentliche Basis für die Saisonverlängerung im Bodenseetourismus und zugleich Lebensqualität für uns. Das Selbstverständnis der Bodenseeschifffahrt hat sich hierzu in den letzten 15 Jahren stark wandeln müssen: von reinen Schiffsanbietern zu Tourismusunternehmen.
Lässt sich das Angebot mit dem auf anderen großen Seen, etwa dem Lago Maggiore, dem Zürichsee oder dem Genfer See vergleichen?
Festzuhalten ist, dass diese Seen meist eine kürzere Saison haben. Und: Das dortige Schifffahrtsangebot kann nur dank öffentlicher Zuschüsse in Millionenhöhe aufrechterhalten werden. Gerade dem Lago Maggiore hatte die italienische Regierung 2012 ein deutlich spürbares Sparprogramm auferlegt. Auf dem Zürichsee und dem Genfer See kommt hinzu, dass die Personenschifffahrt Nahverkehrsfunktionen der Metropolen übernimmt. Den deutschen Bodensee-Schiffsbetrieben wie auch den kleineren Schifffahrtsbetrieben gelingt es hingegen, über die gesamte Saison ohne öffentliche Mittel auszukommen. Gelingt es noch, muss man sagen.
Die Kurse sind weitgehend abgesteckt, die Geschäfte einkömmlich für alle Betriebe verteilt. Nach der Bodenseeschifffahrtsordnung sind die Häfen öffentlich zugänglich, für jedermann. Ist das nicht gerade die Aufforderung zu einem Wettbewerb, wie vor Uhldingen zurzeit beobachtbar – nach dem Motto Konkurrenz belebt das Geschäft?
Alle Unternehmen auf dem See stehen im Wettbewerb mit anderen Ausflugs- und Erlebnisangeboten der Region, aber auch mit dem vermeintlich schnelleren aber nur bedingt erholsamen Auto, mit Bahn, Bus oder Fahrrad. Bei den BSB wacht die Stadt Konstanz als Eigentümerin über eine kundenorientierte Preisgestaltung. Vor Uhldingen ist ein branchentypisches Marktversagen zu beobachten: Mehrwert und Transparenz nahezu gleichzeitiger Abfahrten zur Mainau an Schönwettertagen sind sehr begrenzt. Steht ein ganzjährig und täglich zuverlässig verkehrender Anbieter wegen Einnahmerückgängen an den wenigen starken Tagen unter Kostendruck, wird er an Wochen- und Schlechtwettertagen sowie außerhalb der Hauptsaison die meist nicht kostendeckenden Fahrten streichen müssen. Der Schaden für Öffentlichkeit und Tourismus überwiegt dann deutlich.
Die Touristen nutzen die Angebote nach Kräften – also scheinen sie es auch zu schätzen. Man hat jedoch den Eindruck, dass den Hiesigen nicht ganz bewusst ist, wie groß das Angebot tatsächlich ist. Teilen Sie diese Auffassung?
Ja. Auch hier gilt: das Freizeitangebot in der gesamten Seeregion ist groß, das spürt die Schifffahrt gerade bei den Kunden aus der Region. Besonders in der Vor- und Nachsaison bietet sich der Schifffahrt aber noch ein großes ungenutztes Potential der Einheimischen, die es mit besonderen Aktionen zu gewinnen gilt. Dieser Herausforderung müssen und können sich gerade die kleinen Unternehmen stellen.
Gerade die kleinen Anbieter wie die Überlinger Schiffsbetriebe haben den Vorteil schlanker und flexibler Strukturen sowie großer Nähe zum Kunden. Das heißt, sie können mit ihren kleinen Schiffen gemeinsam mit Partnern wirtschaftliche Angebote schneidern, die einen echten Mehrwert für Bürger und Gäste generieren. Denken wir etwa an günstige Charterfahrten für Hochzeitgesellschaften oder kleine Betriebsausflüge, öffentliche Tagesausflugsfahrten aber auch an Aktionen wie einem Vorleseschiff mit Piratengeschichten für Kinder oder touristische Themenfahrten. Freilich, Kreativität und Verkaufsgeschick sind gefordert, dies gehört im Tourismus aber immer dazu. Aber selbst im fahrplanmäßigen Kursverkehr gibt es Linien, die von kleinen Anbietern wirtschaftlicher betrieben werden können, ohne sich auf einen ruinösen Wettbewerb einlassen zu müssen, etwa die Verbindungen Überlingen-Wallhausen oder Überlingen-Bodman.
Die Vielfalt an Angeboten hat teilweise zur Folge, dass der Kunde den Überblick verliert. Wäre es nicht an der Zeit, dass alle Betriebe einen großen gemeinsamen Fahrplan herausgeben, mit einer einheitlichen Systematik?
Genau dies streben Tourismus und die großen Schiffsbetriebe am See an. Deshalb bieten sie kleineren Schiffsbetrieben Vertriebskooperationen zu marktüblichen Konditionen an. Die Kleinen profitieren dann von Messeauftritten, den Verkaufsstellen rund um den See und weiteren Partnerschaften der Großen.
Selbst die Schweizerische Bodenseeschifffahrtsgesellschaft ist wieder in die Kooperation der vier großen Anbieter eingestiegen, da sie den großen Mehrwert eines guten Miteinanders auf schmerzliche Weise erkennen musste. Zu Transparenz und einheitlichem System im Fahrplan gehört besonders im Tourismus aber eines: Fahrten, die über die gesamte Saison täglich, zuverlässig und aufeinander abgestimmt verkehren und über wirtschaftlich sichere Rahmenbedingungen verfügen.
(Fragen: Stefan Hilser/Südkurier v.
16.05.13)