Oehler gibt SBB einen Korb
Bodenseeflotte: Gerichtsverfahren verhindert Aussprache
Im Seilziehen um die Schweizer Bodenseeflotte (SBS) ist keine schnelle Lösung absehbar. AFG-Chef Edgar Oehler, der zusammen mit einer Investorengruppe um den SBS-Maschinisten und Minderheitsaktionär Flavio Cason den Verkauf der SBB-Tochtergesellschaft an die Stadtwerke Konstanz verhindern möchte, will sich unter den derzeitigen Bedingungen nicht mit den Bundesbahnen an einen Tisch setzen.
Das Angebot zu einer Aussprache von Paul Blumenthal, Leiter Personenverkehr bei den SBB, schlug der Unternehmer diese Woche aus. "Solange das Gerichtsverfahren nicht beendet wird, rede ich nicht mit ihm." Oehler hatte Blumenthal Anfang Monat heftig kritisiert, weil sich dieser aufführe wie "der Herr im Haus". Gleichzeitig rief der AFG-Chef am Donnerstag mit einem Brief die Finanzkommission des Bundes auf den Plan. Sie soll den geplanten Verkauf überprüfen lassen. "Die Öffentlichkeit wurde hinters Licht geführt." SBB und Thurgauer Regierungsrat, die bis jetzt zu den Vorwürfen immer geschwiegen haben, nehmen nächste Woche erstmals Stellung.
(St. Galler Tagblatt v. 22.04.06)
"Öffentlichkeit hinters Licht geführt"
Finanzkommission des Bundes soll geplanten Verkauf der Bodenseeflotte überprüfen
Statt am runden Tisch dürften die SBB und die Investorengruppe um Flavio Cason vor Gericht erstmals zusammensitzen. Termin ist der 30. Mai. Von einer Lösung im Streit um den Verkauf der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft (SBS) - eine SBB-Tochter - ist man weit entfernt. Die Thurgauer Regierung zeigt sich zwar gesprächsbereit gegenüber der Investorengruppe um SBS-Maschinist und Minderheits-Aktionär Flavio Cason, die den Verkauf der Flotte nach Konstanz verhindern will. Diese wiederum tut sich aber schwer, mit den SBB an einen Tisch zu sitzen. AFG-Chef Edgar Oehler schlug diese Woche das Angebot zu einer Aussprache aus. Darum ersucht hatte Paul Blumenthal, der Leiter Personenverkehr bei den SBB. Begründung von Oehler für die Absage: Solange man sich vor Gericht streitet, gibt es nichts zu bereden.
Vertrauen verloren
Die Investorengruppe hat das Vertrauen in die SBB weitgehend verloren. "Die Verhandlungen über den Verkauf der SBS nach Konstanz sind viel weiter, als gegenüber der Thurgauer Regierung und den Gemeindeammänner immer behauptet wurde. Die Öffentlichkeit wurde hinters Licht geführt", sagt Oehler. Er hat darum am Donnerstag einen Brief an die Finanzkommission des Bundes geschickt mit der Bitte, die unterschriftsreifen Verträge unter die Lupe nehmen zu lassen.
Werft: Kein einziger Auftrag
In den letzten vier Wochen sind immer mehr Einzelheiten im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf der SBS bekannt geworden. Neuestes Detail, das Fragen aufwirft: Die Stadtwerke Konstanz haben der SBS-Werft in Romanshorn 2005 anders als in den Vorjahren keinen einzigen Auftrag erteilt, ein Schiff zu überholen oder zu reparieren. Zur Erinnerung: Die Deutschen wollen die (profitable) SBS-Werft nach dem Kauf ausgliedern - ohne Schweizer Beteiligung. Bis jetzt haben die Bundesbahnen und der zuständige Regierungsrat Kaspar Schläpfer nie Stellung zu den Vorwürfen genommen. Am kommenden Donnerstag nun stellen sich die beiden zusammen mit den Stadtwerken Konstanz erstmals den Medien.
Regierung gibt sich offen
Großer Aufmerksamkeit sicher sein kann sich vor allem Schläpfer, der sich Ende März im Namen der Thurgauer Regierung ohne Wenn und Aber öffentlich für den Verkauf der SBS nach Konstanz ausgesprochen hatte. Am letzten Wochenende nun deutete Erziehungsdirektor Bernhard Koch in der NZZ am Sonntag einen Kurswechsel an: Die Regierung habe "grundsätzlich nichts dagegen, dass die Bodenseeflotte in Schweizer Händen bleibt". Schläpfer will die Aussage seines Departements-Stellvertreters nicht kommentieren. Nur so viel: "Man hat mich nicht erreicht und ist deshalb an Bernhard Koch gelangt." Die Position des Thurgauer Regierungsrates ist entscheidend. Die SBB haben wiederholt betont, sie würden keine Lösung gegen seinen Willen durchdrücken. Die Wirren haben mittlerweile auch die Politik auf den Plan gerufen. SVP-Kantonsrat Andrea Vonlanthen hat im Grossen Rat einen Vorstoß eingereicht zu den offenen Fragen.
(Markus Schoch/St. Galler Tagblatt v. 24.04.06)
BodenseeFlotte - Steife Brise
"Eine Schande wäre der Verkauf der Schweizerischen Bodenseeflotte nach Deutschland!" So urteilen Oberthurgauer in Umfragen und Leserbriefen. Erstaunt dieses Echo?
Es schien anachronistisch schon zu sein, was unvermittelt und heftig in diesen Tagen und Wochen aufbricht: Der Glaube an Identität und an den Mythos wirtschaftlicher Kraft und Selbstbehauptung unter der Schweizer Flagge. Auf den Schiffen der Bodenseeflotte sollen Fahnen weiter anzeigen, dass es bleibt, wie es war: eidgenössisch!
Seit das "Tagblatt" außerdem publik gemacht hat, zu welch vorteilhaften Bedingungen die Stadtwerke Konstanz als Käufer die Flotte übernehmen könnten, mag man die Vorstellung über mögliche neue Besitzverhältnisse noch ein bisschen weniger. Mit Nachbarn kann man in der Regel auskommen. Sie auch noch mögen und ihnen mehr Erfolg als sich selbst gönnen ist dagegen keine herausragende Tugend der menschlichen Natur. Auch nicht an den Ufern des Bodensees. Ein Flottenverkauf nach Konstanz? "Das fehlte noch!", meint eine Arboner Leserin und man ist geneigt, ihr zuzustimmen. Doch zunächst dies: In der Wirtschaftswelt sind die Rationalisten überall. Toblerone, Bally und das Wasser aus dem Valsertal sind amerikanisiert. Die Dänen haben Feldschlösschen, Passugger und Rhäzünser übernommen. Die Ovo ist in Britannien beheimatet und Hero fand seine neuen Eigentümer in Deutschland. Kühles Kalkül von Nutzen und Kosten: Die Betriebswirtschaftslehre kennt Bilanzen und keine Bindungen.
Maschinen, Lastwagen, Lokomotiven, Turbinen: Auch industrielle Vorzeigeunternehmen haben im Laufe vergangener Jahre und Jahrzehnte die Flagge gewechselt oder mussten die Segel streichen. Ihre Namen sind als nationale Identitätsträger weggebrochen. Bedauert und häufig schmerzhaft empfunden, wie in jenen Stunden, als die Swissair ihre Flugzeuge nicht mehr in die Luft brachte: das Schweizer Kreuz und das nationale Selbstbewusstsein am Boden. "Grounding" braucht als Begrifflichkeit seither keine Übersetzung mehr. Die Gewöhnung der Öffentlichkeit an die wirtschaftlichen Mechanismen schien indes mehr und mehr vollzogen. Wie anders als bloß zur Kenntnis werden noch Meldungen über Übernahmen, Fusionen, Auslagerungen und Schließungen genommen? Wer hat nicht resigniert vor den gestanzten Vokabeln jenes Wirtschaftseinmaleins, mit dem "kommuniziert" wird, was unabwendbar sein soll? "Global" als eines der Zauberworte unserer Zeit stutzt sogleich jeden auf Zwergengröße, der noch glauben möchte, Besitzverhältnisse und Standortwahl hätten mit einer Region und ihrer Mentalität zu tun, mit Tradition und - mit Verbundenheit. Und nun dies, dem Trend entgegengesetzt: Stimmen und Stimmungen bewegen eine Region. Schiffe und Werft sollen in Schweizer Hand bleiben! Was mit der Überzeugung eines Einzelnen begann, den man zunächst mehr erheiternd als ernsthaft wahrgenommen hat, als einen tapferen Matrosen in Seenot, ist herangewachsen zu einem Bekenntnis vieler.
Es wäre bei Proteststimmen wohl geblieben, einer vergeblichen Müh, wäre nicht noch ein Wirtschaftskapitän wie Edgar Oehler ins Boot zugestiegen. Name und Finanzkraft geben der Gruppe auf einen Schlag Gewicht und machen sie zu einer ernst zu nehmenden Mitbewerberin. Die Thurgauer Kantonsregierung scheint ihre bisherige strikte Empfehlung eines Flottenverkaufs nach Konstanz denn auch aufgegeben zu haben. Gesprochen wird nunmehr von einer offeneren Haltung. Deutet dies auf ein Wendemanöver hin?
Der Druck wächst: Seit Oehler im "Tagblatt" sich geäußert hat und die unternehmerische Qualität der SBB (Besitzerin der SBS) dahingehend taxierte, dass sie «Millionen in den Sand setzen» würden, haben auch überregionale Zeitungen Gefallen an der Bodenseeflotte gefunden und verbreiten das Thema landesweit. Publizität verschafft zusätzlichen Rückenwind: Die Streiter für eine Schweizer Lösung sind auf Kurs. Der Bürgerprotest wäre vorhersehbar gewesen. Doch Manager wie Politiker scheinen in diesem Fall das eine zu lange außer Acht gelassen zu haben: Schiffe auf dem Bodensee binden Emotionen; es geht bei diesem Geschäft um Sensibleres als etwa um die Produktion von Seife oder Teigwaren. "Die Schiffe sollen weiß sein", bemerkt eine Leserin denn auch resolut in einer Umfrage, "einige sind schrecklich angemalt, vor allem das Landbierschiff!" Wie wahr; und zu bedenken wäre noch dies: Es wollen in den kommenden Sommermonaten wieder Tausende Passagiere auf Schweizer Seite zusteigen. Sie haben den bestmöglichen Service verdient - umso besser, sollten sie dabei auch noch das Gefühl haben, auf dem richtigen Dampfer zu sein.
(Bruno Scheible/St. Galler Tagblatt v. 08.04.06)