So
versank die alte Herrlichkeit
In die Vergangenheit als auf See
Sie scheinen wie die Perlen des Kielwassers zurückzubleiben
Auf dem sich das Schiff auf
zauberhafte Weise fortbewegt!
Joseph
Conrad „Spiegel der See“
Erinnerungen
von Schiffshistoriker Karl F. Fritz
Teil
6
Auch
der letzte Flussdampfer der Schweiz, die legendäre „Schaffhausen“
gehörte damals noch zum Hafenalltag in Konstanz. Bis zum Saisonende 1964
bildete der grün-weiß gestrichene Glattdeckdampfer mit seinem silberfarbenen
Schornstein zusammen mit den neuen Motorschiffen „Kreuzlingen“
und „Stein am Rhein“ das Rückgrat
der Untersee- und Hochrheinstrecke. Viele Jahre kommandierte Kapitän Ruegg aus
Diessenhofen diesen besonders im westlichen Bereich des Bodensees sehr populären
Dampfer, im Konstanzer Volksmund auch als „Schwyzerhägele“ bezeichnet.
In
besonderer Erinnerung habe ich eine Fahrt aus dem Jahre 1959 mit der
„Schaffhausen“ von Kreuzlingen nach Gottlieben. Am Bug hatte sich ein
Akkordeonspieler postiert, dessen Melodien mich so sehr beeindruckten, dass ich
den Tränen nahe war. Er spielte auch beim Einlaufen in den Konstanzer Hafen, wo
am Platz 6 die „Zähringen“
dampfte. Der spannendste Moment war das Absenken des Schornsteins beim Passieren
der Konstanzer Rheinbrücke. Dieser Vorgang nahm meine Aufmerksamkeit so sehr in
Anspruch, als direkt neben mir das Durchfahrtssignal der Dampfpfeife aufbrüllte.
Kreidebleich und zu Tode erschrocken, rannte ich hinunter in die Vorschiffskajüte.
Ein Matrose, vermutlich der spätere Kapitän Bruno Keßler schüttelte sich vor
Lachen. In der Kajüte ging es hoch her. Um einen langen Tisch mit mehreren
entkorkten Rotweinflaschen und gefüllten Gläsern, hatte sich eine Gruppe
feucht-fröhlich gestimmter Eidgenossen um den Akkordeonspieler versammelt, der
einen Ländler anstimmte: „Üs ischs hütt wieder vögelei, vögeli
wohl…“. Als Trostpflaster für den überstandenen Schrecken erhielt ich von
meiner Mutter eine Waffelschokolade mit dem Namen „Kägifret“.
Obwohl
die „Baden“ noch immer den Status als
Flaggschiff der Konstanzer Flotte innehatte, kamen bei mir an der Favoritenrolle
der mächtigen „Stadt Überlingen“
nicht die geringsten Zweifel auf. Schließlich war es der mächtigste und
leistungsstärkste Raddampfer auf dem See. Einzig und allein die „Austria“
war imstande, seine Geschwindigkeit von rund 30 km/h zu überbieten. Viele Jahre
kommandierte die braungebrannte Persönlichkeit von Kapitän Walter Schöller
diesen großen und mit Abstand jüngsten Dampfer der Bodenseeflotte. Schöller
hatte sich auf eigene Kosten eine weiße Sommeruniform zuschneidern lassen und
wurde deshalb an den Oberseestationen als „Negus“, im Überlingersee als „Chimborasso“
bezeichnet. Die kompakten Aufbauten, die langgezogenen Radkästen und der weit
nach achtern abgesetzte Kamin charakterisierten die „Stadt Überlingen“ als
eine imposante, eigenständige Dampferpersönlichkeit.
Eine
der schönsten Dampferfahrten durfte ich am 27. August 1960 erleben. An diesem
gewitterschwülen, warmen Spätsommertag nahm mich mein großer Bruder nach
Bregenz mit. Wie üblich, bestiegen wir frühmorgens um 8.00 Uhr das Motorschiff
„Baden“. Der Kurs 107 führte damals ohne Umsteigen in Friedrichshafen
durchgehend bis Bregenz. Ein Besuch im schönen Bregenz war bei guter Sicht
meistens mit einer Seilbahnfahrt auf den Pfänder verbunden. Ein besonderer
Anziehungspunkt war für mich auch der „Milchpilz“ beim großen Bahnübergang
zu den Seeanlagen. Ähnlich dem württembergischen Matrosen Achberger, gab es am
kleinen Bahnübergang beim Hafengebäude einen älteren Schrankenwärter, der
entweder noch aus der Kaiserzeit übriggeblieben war, oder einem Hans-Moser-Film
entstammte. Mit seiner antiquierten Eisenbahneruniform, den großen
Kragenspiegeln und prägnant sitzender Dienstmütze, gehörte dieser Mann über
viele Jahre zum Szenario am Bregenzer Hafen. Solche illustren Persönlichkeiten
sind heute allesamt am und vom See verschwunden. Aus irgend einem Grund, der
sich meiner Kenntnis entzieht, wollte mein Bruder nicht mit der gegen 15.45 Uhr
abgehenden „Schwaben“ zurückfahren
und entschloss sich deshalb auf den um 17.10 Uhr abgehenden Kurs 124 zu warten.
Dieser Kurs führte nur bis nach Friedrichshafen und wurde dann von einem
Konstanzer Schiff übernommen. An diesem Tage war es nicht wie üblich die „Austria“,
sondern die „Stadt Bregenz“.
Damit hatte sich das Warten aus unserer Sicht gelohnt. Da es noch keine
Sommerzeit gab, begann es schon in Höhe Langenargen zu dämmern.
Die Abendsonne wurde von einer Gewitterfront verdunkelt und gespannt
hielten wir Ausschau nach dem von Konstanz kommenden Anschlussschiff. Dicht
unter dem weit in den See hineinragenden „Kippenhorn“ bei Immenstaad war
trotz des dunklen Gewitterhimmels eine große, schwarze Rauchwolke auszumachen,
die nur von einem Dampfschiff stammen konnte. Damit waren auch die geringsten
Zweifel beseitigt, dass es sich hier nur um die „Stadt Überlingen“ handeln
konnte. Je heftiger ein Dampfer qualmte, um so eindrucksvoller wirkte er damals
auf mich. Als mich in den frühen Grundschuljahren ein Lehrer scherzeshalber
nach einem späteren Beruf fragte, kam die spontane Antwort: „Kapitän auf der
„Stadt Überlingen““, worauf ein Mitschüler meinte, dass ich mich auf
diesem Schiff vor einer Rauchvergiftung in acht nehmen müsse! Ich sagte:
„Idiot“ und erhielt dafür vom Lehrer eine Backpfeife. Diesbezüglich waren
in dieser Zeit die „Stadt Überlingen“ und die „Hohentwiel“
die ärgsten „Qualmer“ auf dem See. Mein ältester Bruder, der um 1950 an
der Landestelle Immenstaad tätig war, erzählte mir auch von der ebenfalls
durch eine beträchtliche Rauchentwicklung bekannten
„Bludenz“, die bei einer gewissen Kategorie von Fahrgästen sogar „berüchtigt“
gewesen sein soll. Sobald hinter der Landzunge von Langenargen bei guter Sicht
dunkle Rauchwolken aufstiegen, konnte man sicher sein, dass die „Bludenz“
unterwegs war. Ich selbst kann mich nur noch schwach an die aktive Dienstzeit
dieses im Jahre 1887 als „Kaiserin Elisabeth“ in Dienst gestellten Dampfers
erinnern. Im letzten Betriebsjahr 1954 war ich gerade einmal drei Jahre alt und
im Gedächtnis haften blieb mir ein „Dampfer mit schwarzem Kamin“, der
abfahrbereit am Landeplatz 3 im Konstanzer Hafen lag. Später fragte ich
mehrmals meine Mutter, wann der Dampfer mit dem schwarzen Kamin wieder komme.
Zum aller- letzten Mal sah ich die „Bludenz“ an einem neblig trüben
Novembertag im Jahre 1958 kurz vor der Verschrottung in Friedrichshafen. Die
„Bludenz“ soll übrigens das erste Bodenseeschiff überhaupt gewesen sein,
auf dem ich im Säuglingsalter von sechs Monaten in den Armen des großen
Bruders an Bord genommen wurde….
In
Friedrichshafen lag auf Platz 6 die festlich illuminierte und erst wenige Wochen
alte „Stuttgart“. Es war
Samstag und damals wurden ab allen Häfen noch regelmäßige Tanzfahrten
veranstaltet. Ohne dass es mir damals konkret bewusst
wurde, war ein neues Zeitalter auf dem Bodensee angebrochen. Lange und
auch etwas wehmütig blickten wir der „Stadt Bregenz“ nach, die in Rückwärtsfahrt
vom Landungsplatz 3 ablegte, vor dem Hafen in einem weiten Boden wendete und
unter einem bläulichen Rauchschleier auf Heimatkurs ging… Als die
hellerleuchteten Kuppeltürme der Schlosskirche an uns vorüberzogen, war es
schon finstere Nacht. Wir hatten uns im überdachten Teil des Oberdecks II.
Klasse niedergelassen und ließen das rhythmische Fauchen der ventilgesteuerten
Maschine auf uns einwirken. Die „Stadt Überlingen“ war nur noch mäßig
besetzt. Ein Matrose schlenderte durch das Einsteigdeck und trällerte den
damals populären Werbesong: „Mach mal Pause – Coca Cola“. Seitlich des
Maschinenschachtes führte in entgegengesetzter Richtung die Treppenaufgänge
zur Laube I. Klasse und auf das lange Freideck II. Klasse. Zwischen den beiden
Flügeltüren lag das Kesselhaus, auch dies eine Besonderheit der „Stadt Überlingen“,
wo man bei geöffneten Milchglasfenstern auf die beiden mächtigen Dampfdome und
den zum Kamin führenden Rauchfang, den sogenannten „Fuchs“ hinuntersah.
Wie
bei den meisten Dampfschiffen, waren auch bei der „Stadt Überlingen“ die
Herstellerdaten der Bauwerft an den Innenwänden der Radkästen angebracht:
„Christof Ruthof / Schiffswerft und Maschinenfabriken – Mainz-Kasel und
Regensburg 1929“ und darunter: „M.A.N.-Werk/Kesselfabrik Main-Gustavsburg“.
Vor den Kesseln legten die beiden Oberheiter Gottfried Danegger und Alfred
Schwarz eine neue Lage Kohlen auf. Gottfried Danegger war nach dem Ausscheiden
der „Stadt Überlingen“ noch viele Jahre als Hafenmeister auf der Insel
Mainau tätig.
Als
wir schließlich in Konstanz ankamen, lag die „Austria“ als Sonderschiff am
Platz 9. Scharenweise kam uns eine Gesellschaft sangesfreudiger Tiroler
entgegen. Damit hatte sich auch der an diesem Tag geänderte Einsatz der
„Stadt Bregenz“ aufgeklärt.
(Karl F. Fritz)