Ein umstrittener Befehl schlug hohe Wellen

Im Dezember 1945 erlitt das Motorschiff "Kempten" schwere Seeschäden in einem Föhnsturm

Am 18. Dezember 1945 erhielt die Besatzung des  Motorschiffes "Kempten" im damals von französischen Marinetruppen besetzten Hafen Lindau den Auftrag, mit neun Offizieren nach Langenargen auszulaufen. In Langenargen befand sich damals eine Unteroffiziersschule der 1. französischen Armee mit dem Beinamen "Rhine et Danube", unter dem Kommando von General Lattre de Tassigny. Vergeblich versuchte der Kapitän der "Kempten" wegen eines schon am Vorabend hereingebrochenen Föhnsturms, den Hafenkommandanten umzustimmen. Der Besatzung blieb deshalb nichts anderes übrig, als die "Kempten" seeklar zu machen.  Vorsorglich ließ  der Kapitän noch vor dem Auslaufen an den unteren Salonfenstern Seeschlagblenden anbringen. Es herrschte noch stockfinstere Nacht, als die "Kempten"  gegen sechs Uhr morgens den Hafen verließ und schon in der Einfahrt die volle Wucht des Föhnsturmes zu spüren bekam. Schon auf Höhe des Glockenschlagwerkes begann das Schiff so heftig zu rollen, dass trotz der Schutzvorrichtungen im achtern Halbsalon fünf Fensterscheiben zu Bruch gingen. Der Kapitän versuchte aufzukreuzen, sah aber dann keine andere Möglichkeit, als den schützenden Hafen von Rorschach anzulaufen. Inzwischen war es hell geworden und die schweizerische Grenzpolizei wurde schon frühzeitig auf die "Kempten" aufmerksam. Weder die Besatzung noch die französischen Offiziere, von denen einige schon seekrank waren, durften das Schiff in einem neutralen Hafen verlassen. Die schweizerischen Behörden nahmen sofort Verbindung mit Bern auf, das den Vorfall nach Paris weiterleitete.    

Nach einem unfreiwilligen Aufenthalt von anderthalb Stunden, konnte die "Kempten" ihre Fahrt fortsetzen. Der Kapitän versuchte zwar, mit auflaufendem Wind Langenargen zu erreichen, aber ein Anlegemanöver erwies sich bei dem vorherrschenden Seegang als aussichtslos, nachdem noch eine weitere Glasscheibe im vorderen Salon eingedrückt wurde. Insgesamt war am Schiff ein Sachschaden von 250 Reichsmark entstanden. Die "Kempten" kehrte unverrichteter Dinge in den Heimathafen Lindau zurück. Ein Verdacht auf Sabotage gegen die Schiffsbesatzung konnte unter den gegebenen Umständen nicht aufrecht erhalten werden. Der Lindauer Hafenkommandant wurde allerdings disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen.

Eingedrückte Glasscheiben waren bei den sogenannten "Winterschiffen" mit  ihrer doppelten Halbsalonbauweise keine Seltenheit. Im Januar 1958 erwischte es die "Ravensburg" auf einer Kursfahrt von Friedrichshafen nach Konstanz. Gegenüber den beiden Lindauer Schwesterschiffen "Kempten" und "Augsburg" konnte die "Ravensburg" nicht mit Seeschlagblenden ausgerüstet werden. Der Besatzung gelang es aber, das in den vorderen Salon eindrungene Wasser mit Hilfe der Lenzeinrichtungen wieder außerbords zu pumpen. Am 27 Mai 1972, geriet die inzwischen in Konstanz stationierte "Kempten" abermals in einen schweren Weststurm. Auf der Rückfahrt von Bregenz nach Konstanz zertrümmerte in Höhe des Lindauer Schlagwerkes eine schwere Kreuzsee sämtliche Scheiben des vorderen Salons auf der Steuerbordseite. Dabei gab es zwei Verletzte durch Glassplitter. Der Schiffsführung gelang es, Wasserburg anzulaufen, wo schon die fernmündlich verständigte Ambulanz bereitstand um die beiden Fahrgäste in das Lindauer Krankenhaus einzuliefern. Da auch die anderen Passagiere das Schiff verließen, nahm die "Kempten"  bei hochgehender See direkt Kurs auf Konstanz. Erst nach diesem Vorfall konnte sich die damalige Verwaltung nach 40 Betriebsjahren zum Einbau von Securit-Fenstern in den unteren Fahrgasträumen entschliessen.

(Karl F. Fritz)

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