Um der unaufhaltsam wachsenden Konkurrenz
durch die neuesten bayerischen und württembergischen Dampfschiffe begegnen zu können,
beschlossen die Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen im Jahre 1870 den
Bau eines komfortablen Salondampfers. Den Auftrag erhielt die damals schon
renommierte Zürcher Maschinenfabrik Escher Wyss & Cie, die bis zu diesem
Zeitpunkt schon rund 20 Dampfschiffe für den Bodensee geliefert hatte.
Eigentlich war für den ersten Salondampfer
auf dem Bodensee der Name „Victoria“ vorgesehen. Die Prinzessin Victoria war
die Tochter des badischen Großherzogs Friedrich I. und seiner Gemahlin Luise.
Als spätere Königin von Schweden war die „Drottning Victoria“ die Großmutter
des 2004 verstorbenen Grafen Lennart Bernadotte.
Aber nach dem deutsch-französischen Krieg von
1870/71 veränderte sich die Landkarte in Mitteleuropa und aus den zahlreichen
Kleinstaaten war das Deutsche Reich entstanden. Deshalb beschloss der badische
Großherzog Friedrich I., dem Dampfer den Namen seines Schwiegervaters, dem am
18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Schloss Versailles zum Kaiser ausgerufen Preußenkönigs
Wilhelm I. zu verleihen.
In Konstanz wurde diese Entscheidung mit
gemischten Gefühlen aufgenommen. Denn eine größere Anzahl gutbürgerlicher
Kreise machte damals aus ihrem distanzierten Verhältnis zum Preußentum keinen
Hehl und hatte beim Ausbruch des Krieges insgeheim mit Kaiser Napoleon III.
sympathisiert, der in seinen Jugendjahren auf Schloss Arenenberg immer ein gern
gesehener Gast in Konstanz war. Am 3. September 1871 ließ die frischgebackene
Kaisertochter, Großherzogin Luise von Baden im Konstanzer Hafen die
obligatorische Champagnerflasche am Bug der „Kaiser
Wilhelm“, zerschellen. Mit der „Kaiser Wilhelm“ begann auch das
Zeitalter eines permanenten Längsverkehrs zwischen Konstanz und Bregenz.
Zwischen 1872 und 1875 entstanden in allen Uferorten Dampfer-Landungsstege. Der
letzte noch original erhaltene Steg dieser Art in Dingelsdorf steht heute unter
Denkmalschutz.
Zunächst ein Fremdkörper
Obwohl der neue Dampfer
durch seine Größe und seinen komfortablen Aussichtssalon beeindruckte, wurde
er anfangs von zahlreichen Konstanzern als „Fremdkörper“ in der badischen
Flotte bezeichnet. Denn die Radkästen zierte nicht das bis dahin übliche
Wappen mit den beiden Greifvögeln, sondern der deutsche Reichsadler.
Bis
zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs stand der Dampfer „Kaiser Wilhelm“ stets
im Mittelpunkt besonderer Anlässe wie bei Besuchen des Kaisers und anderer Fürstlichkeiten.
Bis kurz vor seinem Tode im Jahre 1888 fuhr der alte Kaiser Wilhelm I. alljährlich
im Juni mit seinem Patenschiff zu Besuchen des Großherzogspaares auf die
Mainau.
Der
neoklassizistische Salon samt den Kajüträumen wurde ursprünglich noch durch
gusseiserne Öfen beheizt. Im Jahre 1891 wurde eine elektrische Beleuchtung
installiert und 1896 erhielt das Schiff die damals schon allgemein übliche
Zentralheizung. „Ehrfürchtig bestaunten wir auf dem Salonboot unseres
Landesherrn die rote Plüschpracht im Salon I. Classe!“, berichtete ein
Zeitgenosse. Auch der neugekrönte Kaiser Wilhelm II. benutzte den Dampfer am
29. September des Dreikaiserjahres 1888 bei seinen Antrittsbesuchen an den süddeutschen
Fürstenhöfen und fuhr auf der „Kaiser Wilhelm“ auf die Insel Mainau und
nach Konstanz. Als Großherzog Friedrich I. am 29. September 1907 auf der Insel
Mainau starb, wurden seine sterblichen Überreste mit der „Kaiser Wilhelm“
nach Konstanz und von dort mit der Bahn nach der Familiengruft in die
Landeshauptstadt Karlsruhe überführt.
Im Winterhalbjahr 1908/09 wurde der Maschinenkomplex des Schiffs modernisiert und eine neue Kesselanlage eingebaut. Dadurch konnte die Höchstgeschwindigkeit von ursprünglich 24 auf 26 Stundenkilometer gesteigert werden. Im November 1909 erlitt das Schiff nach dem Verlassen von Friedrichshafen einen Ruderschaden und strandete steuerlos in der Seewaldbucht. Die 50 Fahrgäste wurden von der Motoryacht des Grafen Zeppelin und dem Dampfschiff „Württemberg“ geborgen. Erst nach zwei Tagen gelang es dem Dampfer „Greif“, den Havaristen nach Konstanz zu schleppen., Zwischen 1909 und 1912 weilte Kaiser Wilhelm II. mehrmals als Gast auf dem Dampfer mit dem Namen seines Großvaters. Nach dem Ende der Monarchien in Mitteleuropa wurde die „Kaiser Wilhelm“ 1919 in „Baden“ umgetauft. Unter diesem Namen verkehrte das Schiff noch bis 30. September 1930, als sich der frühere „Monarch“ mit zwei Kurspaaren zwischen Konstanz und Überlingen vom Bodensee verabschiedete.
(Karl F. Fritz/Südkurier v. 15.08.11)