Problemlos
akzeptiert
Froh
um
Auslanderfahrung
Der Blick aus dem Büro fällt aufs Romanshorner Hafenbecken. Vor Anker liegen
die «MS
Zürich» und die «MS Thurgau».
Die ist ein zweites Mal vorhanden, als Modell im Büro. Dort fällt der Blick
auf einen
einfachen Schreibtisch und auf Aktenschränke, die aus den 60er-Jahren stammen könnten.
Ein Heizlüfter, kahle Wände. Die
Teppichetage stellt man sich anders vor, zumal der Teppich ebenfalls fehlt. Im Büro
in der alten Transitpost arbeitet
Andrea Ruf. Die Aargauerin ohne nautischen Hintergrund ist seit Anfang 2011 CEO
der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt
(SBS), als erste Frau in einer Schifffahrtsgesellschaft dieser Größe.
Hintergrund Sportmarketing
Sie bringt dafür 15
Jahre Erfahrung im Sportmarketing auf allen Kontinenten mit. Ab 2002 arbeitete
sie für die Euro 2004 in Portugal.
Danach kehrte sie in die Schweiz zurück, und weil ihre Schwester in St. Gallen
lebt, zog sie in die Ostschweiz, machte
berufsbegleitend den Executive MBA an der Fachhochschule und begann 2009 als
Leiterin Marketing/Verkauf und Personal in
der SBS.
«Wir sind einen weiten Weg gegangen. Vor drei Jahren wussten wir nicht, wie wir
die Löhne zahlen sollen. Jetzt
haben wir Geld, um zu bauen», sagt sie. Als der damalige CEO Benno Gmür nach
der Sanierung der SBS sein Mandat
niederlegte, fragte der Verwaltungsrat Andrea Ruf, ob sie übernehmen wolle. Sie
wollte. «Ich gehe jeden Tag mit Freude
arbeiten. Ich repräsentiere die Firma gerne, und ich bin stolz, dass die
Besitzer den Mut hatten, einer Frau die Chance
zu geben.» Sie habe sich ihre Position erkämpft, räumt Ruf ein. Mit Quoten
hat die 42-Jährige nichts am Hut, obwohl sie
für gleiche Chancen für Frauen und Männer ist. Familie und Beruf zu
vereinbaren, wäre für sie schwierig, sagt Ruf.
Anlässe, an denen sie die SBS vertrete, seien oft am Abend.
Problemlos akzeptiert
Probleme, akzeptiert zu werden,
hatte Ruf nach eigener Aussage keine, weder bei den CEOs anderer
Schifffahrtsbetriebe noch in der SBS selber. «Ich
hatte ja in der SBS als Leiterin Marketing/Verkauf einen Leistungsausweis.» Man
müsse als Frau strikter sein als ein
Mann und klare Aufträge erteilen. Sie gehe unvoreingenommen auf die Menschen zu
und lege Wert darauf, die Mitarbeiter
mit Namen zu kennen.
Häufig gehe sie am Morgen zu den Schiffen, bevor diese ablegten. «Da gibt es
immer wieder Fragen,
und es ist die einzige Chance, mit den Besatzungen zu sprechen, die den ganzen
Tag auf dem See sind.» Die Mitarbeiter
seien ganz wichtig für die SBS, denn es hänge stark von ihrem Verhalten ab, ob
die Fahrgäste wiederkämen. «Wir haben
tolle Mitarbeiter. Ich habe keine Klagen über die alten Büros gehört. Alle
wissen, wofür wir uns anstrengen und dass
wir in einigen Monaten in neuen Räumen mit effizienten Abläufen arbeiten können».
Und wenn Ruf von den neuen Räumen
erzählt, leuchten ihre Augen.
In fünf Jahren sieht sie sich weiterhin an der Spitze der SBS und hofft, dass
der
Verwaltungsrat zufrieden ist mit ihr. «In der Schifffahrt ist immer etwas los.
Manchmal ist das Wetter das Problem,
dann der Euro, dann der Dieselpreis. Mir ist nie langweilig.» Andrea Ruf, CEO
der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt,
benutzt ab und zu auch in der Freizeit ein Passagierschiff.
Sie kehre immer gerne zurück in die Schweiz, sagt Andrea
Ruf. Die Schweiz sei privilegiert. Man müsse hier nicht einflussreiche Eltern
haben, um zu seinem Recht zu kommen. Ruf
möchte ihre Erfahrung als Expatriate aber nicht missen. «Ich weiß, wie es
ist, Ausländer zu sein, kulturelle Barrieren
zu überwinden und Sprachprobleme zu haben.» Die Bodenseeregion sei
international. «Die Ostschweizer haben zu Unrecht
den Eindruck, ihre Region liege im Abseits.» Zudem habe die Ostschweiz
kulturell viel zu bieten. Hat Ruf Zeit für
Hobbies? Wenig. Ein eigenes Boot hat sie nicht, will auch keines: «Ich kann
jederzeit ein großes Schiff besteigen.»
Hobbies sind Sport und Lesen, früher Reisen. «Ich habe gerne schöne Bücher
und lese viel, Autobiographien, Krimis und
Bücher über andere Länder. Im Kopf zu reisen ist spannend. Schifffahrt hat
mit Reisen zu tun.» Eng ist der Kontakt zur
Schwester. «Die dreieinhalbjährige Nichte hält mich auf Trab. Und ich pflege
einen kleinen Kreis guter Freunde.»
(St. Galler Tagblatt v. 24.04.12)