So versank die alte Herrlichkeit

  Nirgendwo sinken die Tage und Nächte schneller hinab
In die Vergangenheit als auf See
Sie scheinen wie die Perlen des Kielwassers zurückzubleiben
Auf dem sich das Schiff auf zauberhafte Weise fortbewegt!
Joseph Conrad „Spiegel der See“

Erinnerungen von Schiffshistoriker Karl F. Fritz

Teil 3 

Das war der Bodensee meiner Kindheit. Trotz der verhältnismäßig langen Wegstrecke von zuhause, zählte während der großen Sommerferien der Konstanzer Hafen zu meinem bevorzugten Refugium. Um das Jahr 1959 erhielt ich mein erstes, gebrauchtes Fahrrad. Das war natürlich eine feine Sache, denn damit war ich schon nach einer Viertelstunde in der Stadt und am Hafen. Trotz Ferien kam ich aber immer pünktlich zum Mittagessen nach Hause. Als ich noch zu Fuß ging, bedeutete das Auftauchen der „Austria“ so gegen halb zwölf Uhr vormittags hinter dem Landungssteg Waldhaus Jakob das Zeichen zum Aufbruch. Mit dem Fahrrad konnte ich getrost die Ankunft dieses ebenso imposanten wie eleganten Schiffes abwarten. Im Laufe der Zeit freundete ich mich mit einigen anderen, ungefähr gleichaltrigen Buben aus der Altstadt an. Unsere „Frichtle-Clique“, das waren Rolf Single aus der Münzgasse, Volker Klöckler, der spätere FC-Stürmer und heutige Inhaber eines Lotto-Geschäftes und ich, der „Haidemösler“.

Oftmals kommandierte der Bregenzer Kapitän Tone Beck die „Austria“. Beck hatte ein etwas rundliches Gesicht und wurde von uns deshalb als „Vollmondkapitän“ bezeichnet. Schließlich wurde ihm diese Art von Begrüßung zu bunt. Er schüttelte drohend die Faust und rief von der Kommandobrücke herunter: „Hauend bloß ab, ihr Soachbuaba, ihr mieserabla!“. Als er eines Tages diese Angelegenheit dem Hafenmatrosen mitteilte, schien es aber doch ratsam, unser geliebtes Freizeitgelände nicht mehr leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Das Nonplusultra unter den Motorschiffen war damals für uns die „Austria“. In den 50er-Jahren zählte die „Austria“ zu den am meisten fotografierten Motorschiffen auf dem See, bis 1960 die „Stuttgart“ kam. Meine erste Begegnung mit dem neuen Schiff muss gegen Ende Juli 1960 gewesen sein. Sie hatte den ersten „Württemberger-Kurs“ und war gegen 17.50 Uhr in Konstanz eingetroffen.  Die Inneneinrichtung beeindruckte zwar, aber im Vergleich mit einer „Schwaben“, „Baden“ oder „Karlsruhe“ war mir dieses Schiff nicht mehr zu archaisch genug. Auch mit dem zwei Jahre später in Dienst gestellten Schwesterschiff „München“ konnte ich mich zunächst nicht anfreunden. Um Wilhelm Zentner zu zitieren: „Feinde waren es, Zerstörer, indem sie meine stolzen Dampfer einen nach dem anderen auf das Aussterbeetat verbannten!“ Auch wenn das neue Schiff einen bayerischen Namen trug, so waren damals die Konstanzer mächtig stolz auf die neue „München“, deren Inneneinrichtung die „Stuttgart bei weitem übertraf.

Das von uns am meisten bewunderte Schiff war damals der österreichische Salondampfer „Stadt Bregenz“. In den Hochsommerwochen des Jahres 1960 befuhr dieser Dampfer beinahe täglich das Kurspaar 112/117. Stets schlug bei uns „Konstanzer Frichtle“ das Herz höher, wenn die majestätische Silhouette der „Stadt Bregenz“ mit einer leichten Schlagseite im Trichter sichtbar wurde. Schon aus größerer Entfernung war das hohe, singende Geräusch der einige Jahre zuvor mit einer neuen Kesselanlage eingebauten Abdampfturbine zu vernehmen. Die rot-weiß-roten Schornsteinfarben verliehen dem österreichischen Dampfer gegenüber der kompakt, strenger und wuchtiger wirkenden „Stadt Überlingen“ ein heiteres und fröhliches Aussehen. Dabei entstand der Eindruck, als würde uns das Schiff schon aus größerer Distanz entgegen-lachen!

Eine besondere Augenweide waren für uns auch die dreigeteilten Sprossenfenster der Salons und die kunstvoll gestalteten Bregenzer Stadtwappen an den Radkästen. Solche Wappen waren damals bei den deutschen Dampfern schon längst verschwunden. Das 1957 eingeführte, neue Reedereiabzeichen der Deutschen Bundesbahn, passte nicht mehr so richtig zu einem Dampfschiff. Eine weitere Eigenheit war die Dampfrudermaschine am Heck der „Stadt Bregenz“, die während des halbstündigen Aufenthaltes in Konstanz vom Maschinisten gewartet und geschmiert werden musste.

 Die „Stadt Bregenz“ war eine Dampferpersönlichkeit von einem heute kaum mehr vorstellbaren, unwiederbringlich verlorengegangenen Charme. Als die „Stadt“, wie das Schiff in Bregenz auch liebevoll genannt wurde, an irgendeinem Tag im August 1960 in den Konstanzer Hafen einlief, machten wir eine merkwürdige Entdeckung. Die großen Holzbuchstaben des Namenszuges am Steuerbord-Radkasten waren, vermutlich als Folge einer Kollision, zerbrochen und das Stadtwappen fehlte vollständig. Auf unsere Frage an Kassier Nachbauer erhielten wir zur Antwort, dass die Möven draufgehockt wären. Natürlich gaben wir uns damit nicht zufrieden, getrauten uns aber nicht noch einmal zu fragen. Einige Tage später waren die gebrochenen Buchstaben entfernt und der Schiffsnahmen in schwarzer Farbe aufgemalt. Das Wappen wurde in der laufenden Saison allerdings nicht mehr ersetzt.

Eine der ersten Fahrten mit der „Stadt Bregenz“ an der Hand des großen Bruders war am Ostersonntag 1959, als das Schiff zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt im Kurseinsatz eingeteilt war, von Konstanz nach Meersburg. Aus irgendeinem Grund waren die rot-weiß-roten Schornsteinringe noch nicht aufgetragen, weshalb mir das Schiff etwas fremdartig vorkam. Der achtere Salon war geschmackvoll und mit edlen Hölzern ausgestattet. An dessen Ende befand sich eine runde Sitzbank mit weichen Kissen, darüber hing ein dreiteiliger Spiegel. Hier war auch das rumpelnde Geräusch der nur durch die Salonrückwand getrennten Dampfrudermaschine zu hören. Bei längerem Verweilen in diesem Salon erhielt ich immer eine schmackhafte österreichische Orangenlimonade, die nach damaliger Währung 45 Pfennige kostete. Vor der Maschinenöffnung stapelten sich die leeren Harrasse der Bregenzer Brauerei Weberbeck und einmal entdeckte ich dort sogar eine alte Signalkanone. Die Maschinenanlage der „Stadt Bregenz“ unterschied sich gegenüber den meisten deutschen Dampfschiffen durch die abgerundeten Kurbelwangen. Tropföler gab es nur auf den Excenterscheiben. Antriebskurbeln und Lager wurden durch eine Fettschmierung aus kleinen, runden Messingbehältern geschmeidig gehalten. Eine Tafel mit der Aufschrift „Stabilimento Tecnico Triestino 1910“ deuteten an den Innenseiten der Radkästen auf die Herkunft dieser Maschine hin. Die „Stadt Bregenz“ war ein unumstrittener Exot unter den damals noch verkehrenden Bodenseedampfern! Vom Maschinenpersonal sind mir noch Ernst Rädler mit seiner kurzen Stummelpfeife, der stets zum Scherzen aufgelegte Walter Leitner, Walter Entner und Otto Bösch in Erinnerung geblieben. Von Walter Leitner erhielt ich im Sommer 1961 eine gelinde Ohrfeige, als ich mitten auf dem See irgendwo zwischen Konstanz und Meersburg die Schiffsglocke zu läuten begann. Zu meinem Unglück hatte ich den Maschinisten Entner übersehen, der gerade an Deck gekommen war, um für einige Minuten frische Luft zu schnappen! Beim Deckspersonal entsinne ich mich noch an die Steuerleute Willi Slappnig und Helmut Schöpf, die Kassiere Edi Pfeifer und Paul Lampert. Die Matrosen Karl-Heinz Maier und Jakob Schweiger waren mit ebenfalls „wohlgesonnen“. Besonders Helmut Schöpf und Willi Slappnig erkannten in mir schon frühzeitig den Schiffahrtsfreund und luden mich mehrfach zur Besichtigung der Maschine an Bord ein. Als ich 1963 bei Paul Lampert nachfragte, ob auch die „Stadt Bregenz“ in absehbarer Zeit ausgemustert werden würde, versicherte er mir kopfschüttelnd, dieses Schiff würde noch mindestens zehn Jahre im Dienst bleiben. Dabei hob er beschwörend beide Hände und wiederholte: No 10 Johr!“ – Nach einer solchen Auskunft war ich selbstverständlich erfreut und hochzufrieden. Einmal wurde Karl Maier während des Anlegemanövers der „Stadt Bregenz“ am Platz 1 in Meersburg von Kapitän Hofer angepfiffen, als er nicht rechtzeitig als Heckmatrose auf der achteren Galerie zur Stelle war. Eine Schiffsfahrt nach Meersburg und zurück war damals selbst bei meinem bescheidenen Taschengeld-Budget erschwinglich. Als Angehöriger einer Eisenbahnerfamilie kostete eine Personal-Rückfahrkarte gerade einmal 90 Pfennige.

(Karl F. Fritz)  

Teil 4 

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