So
versank die alte Herrlichkeit
In die Vergangenheit als auf See
Sie scheinen wie die Perlen des Kielwassers zurückzubleiben
Auf dem sich das Schiff auf
zauberhafte Weise fortbewegt!
Joseph
Conrad „Spiegel der See“
Erinnerungen
von Schiffshistoriker Karl F. Fritz
Teil
4
Die
wohl eindrucksvollste Fahrt mit der „Stadt
Bregenz“ erlebte ich am 17. August 1963. Über den Dächern der Konstanzer
Altstadt, dem Thurgauer Seerücken und im Nordwesten brauten sich mehrere
Gewitterfronten zusammen. Auf der Konstanzer Hafenmole und am Schweizerufer
blinkten die erst wenige Monate zuvor eingeführten Sturmwarnleuchten. Als ich
den Hafen erreichte, legte gerade die „Schienerberg“
ab, die den Schnellkurs nach Überlingen befuhr. Dahinter lag breit und mächtig
die „Stadt Bregenz“, auf der anderen Seite des Hafenbeckens die „Stadt
Überlingen“. Schon während des Wendemanövers beim sogenannten
„Frauenpfahl“, strichen die ersten Windböen fächerartig über das Wasser.
In östlicher Richtung hatte der See eine grasgrüne Färbung angenommen.
Gewitterstürme entfalten sich schnell und verwandeln den See innerhalb von
wenigen Minuten in ein tobendes Inferno. Blitz und Donner begleiteten die
unbeeindruckt durch den Konstanzer Trichter dampfende „Stadt Bregenz“. Erst
in Höhe des Eichhorns begann der Dampfer die elementare Gewalt des
Gewittersturmes zu spüren. Heulend strich der Wind um die Aufbauten und die
„Stadt Bregenz“ begann zu schlingern. Auf dem Oberdeck polterten die ersten
Sitzbänke übereinander. Aber ruhig und in gleichmäßigen Rhythmus arbeitete
die starke, von Ernst Rädler betreute Maschine. In Meersburg brandeten
meterhohe Springfluten über Uferpromenade und Kaimauer. Durch einen
Lautsprecher wurde die „Stadt Bregenz“ aufgefordert, noch 10 Minuten auf
Warteposition zu bleiben. Kapitän Rupert Seiwald und sein Steuermann Willi
Slappnig drehten das Schiff in langsamer Rückwärtsfahrt mit dem Heck voraus in
den Wind.
Das
Kreuzerheck der auslaufenden „Allgäu“
hieb mit einer solchen Wucht in einen anrollenden Wellenkamm, dass eine weiße
Gischtkaskade bis auf das Sonnendeck prasselte. Schwer arbeitend wendete der
beinahe 500 Tonnen verdrängende Koloss und nahm Kurs auf die Insel Mainau. Am
Landungsplatz 1 wartete Hafenmeister Karl Heger im Ölzeug und breitkrempigem Südwester.
Neben ihm stand eine mir damals noch unbekannte Person, die Hände tief in die
Seitentaschen seines Trenchcoats vergraben. Erst Jahrzehnte stellte sich durch
Zufall heraus, dass es sich um den Fabrikanten Hans Georg Brunner-Schwer der
SABA-Radio-Werke in Villingen handelte. Der begeisterte Schiffahrtsfreund war
schon damals eine bekannte Persönlichkeit am See. „Noch heute ziehe ich vor
dem damaligen Kapitän der „Stadt Bregenz“ den Hut!“, erinnerte sich
Brunner-Schwer nach 35 Jahren. Ein Anlegemanöver am Landeplatz 1 gilt bei
starkem Seegang selbst für ein Motorschiff mit Voith-Schneider-Antrieb als
problematisch, da die Kaimauer einen unberechenbaren und unliebsamen Rückstoßeffekt
erzeugt. Deshalb gilt dieser Anlegeplatz bei allen Kapitänen und Steuerleuten
als „berüchtigt“. Auch an diesem Tag war das Landemanöver erst nach zwei
vergeblichen Versuchen möglich. Aus Sicherheitsgründen durfte die
Einstiegtreppe von den Fahrgästen nur einzeln passiert werden. In einer solchen
Situation besteht die ständige Gefahr, dass ein Drahtseil reißen oder die
Treppe abrutschen könnte, mit schwerwiegenden Folgen für Schiff und Besatzung.
Mit einer viertelstündigen Verspätung nahm die „Stadt Bregenz“ wieder
Fahrt auf. Dank der eingespielten Zusammenarbeit zwischen Brücke und
Maschinenraum, kam es beim Ablegen zu keinem unsanften Aufprall des Schiffes an
die Prellpfähle der Kaimauer. Während der Weiterfahrt wurde bekannt gegeben, dass
die Zwischenstationen Hagnau und Immenstaad aus Sicherheitsgründen nicht mehr
angelaufen würden. Aus dem Obersee kam die „Kempten“
mit zerfetztem Sonnensegel auf dem Achterdeck entgegen. Als die „Stadt
Bregenz“ Friedrichshafen erreichte, hatten sich die Gewitter in Richtung Säntis
und Rheintal verzogen und der Seegang spürbar nachgelassen.
Ein
ständiger und vielbeachteter Dauergast im Konstanzer Hafen war in den
Sommermonaten auch das Dampfschiff
„Hohentwiel“. Der in Friedrichshafen stationierte Dampfer trug damals
noch die beeindruckenden Aufbauten, denn es war in den Jahren 1933-35 umgebaut
worden. Im Juni 1960, an einem gewitterschwülen Samstag, hatte er um 16.40 Uhr
aus Bregenz kommend, am Platz 2 festgemacht. Die Besatzung mit Kapitän Heckel,
Steuermann Spinnenhirn und Kassier Karle Lang, Matrose Wegele und Maschinist
Mauthe gingen geschlossen zum Vespern in den „Halmsepp“ in der Dammgasse
neben dem Postamt. Damals kostete eine Halbe Bier 60 Pfennige, eine Limo 35
Pfennige und für 1,20 Mark gab es einen Wurstsalat oder ein herzhaftes
Reschtebrot. Ein Heizer musste als Maschinenwache an Bord bleiben.
Ich höre heute noch den Mauthe-Sepp sagen: „So jetze hau mer gnueg
bucklet i dem Maschineraum dronte. Erscht emol a Veschper ond e küehls Bier, au
wenns e badisches Roppaner-Gsöff isch!“
Die Erinnerungen an die aktive Dienstzeit der „Hohentwiel“ reichen bei mir bis in das Vorschulalter zurück. Eine Fahrt im Frühjahr 1956 von Meersburg nach Konstanz blieb ebenso in meinem Gedächtnis haften, wie ein Dampferausflug bei strömendem Gewitterregen nach Lindau. Während es draußen blitzte, krachte und regnete, saßen wir auf der warmen Kesselbank, wo mir von einer sympathischen Frau aus Nonnenhorn Kirschen angeboten wurden. An einem Junitag des Jahres 1959 lag die „Hohentwiel“ ebenfalls am Landungsplatz 2, als eine Gruppe junger Männer über den Pegelsteg in Richtung Leuchtturm schlenderte. „Was isch au des für en Schlappe, des isch jo e Mississippidampfer!“, meinte einer von den dreien im mittelbadischen Dialekt. Die „Hohentwiel“ war damals 46 Jahre alt, im zurückliegenden Winter generalüberholt worden und präsentierte sich in einem tadellosen Zustand. Eine solche Äußerung machte mich wütend und trotzig herrschte ich den Sprecher an: „Des isch kein Mississippidampfer, denn e Bodenseeschiff hot keine Schaufelräder am Heck, außerdem sind unsere Dampfer viel schöner gebaut, als die Käschte uffem Mississippi!“ - Die jungen Männer waren sichtlich überrascht und schauten mich, den „Dreikäsehoch“ zunächst verdutzt an, begannen aber dann lauthals zu lachen. „Guck emol no, der Kloi kennt sich aber us!“ sagte der Eine. „Der isch sicher vu doo!“, stellte ein anderer zutreffend fest. Anstatt sich zu ärgern, schienen sich die drei über meinen Wutanfall zu amüsieren. „Weisch Buuche“, redete der eine beschwichtigend, indem er auf die „Karlsruhe“ deutete: „Der Große de drübe isch halt moderner und isch dazu no unser Pateschiff, denn mer kummen us Karlsruh“. Immer noch wütend über die „unqualifizierten“ Behauptungen dieser „Landratten“, ergriff ich unbeeindruckt weiterhin Partei für die „Hohentwiel“ und konterte dass die Dampfschiffe im Betrieb interessanter und auch schneller wären als die meisten Motorschiffe. „Oh hör uff!“ sagte einer verdutzt. „Isch des wirklich wohr, guck emol o, des hätt i jetzet nit gedenkt“. Schließlich nahm die Angelegenheit einen versöhnlichen Ausklang und einer drückte mir sogar ein Markstück in die Hand mit der ich schnurstracks zum Eiskiosk der damaligen „Schnellgaststätte“ rannte
Auf
der „Hohentwiel“ gab es damals einen älteren Kassier namens Karl Lang, eben
den, den mein Vater aus seiner aktiven Eisenbahnerzeit noch kannte. Er zog das
rechte Bein etwas nach und ich erinnere mich noch gut an seine Wort, in wenigen
Jahre würde es keine Schiffahrt nach den gegenwärtigen Maßstäben mehr geben.
Er sollte recht behalten! Bei einem Vergleich mit den Österreichern oder den
Konstanzern, herrschte bei einigen württembergischen Kapitänen ein typischer,
nicht mehr zeitgemäßer Kommiston vor. Zwei älteren Kapitänen aus
Friedrichshafen, die noch der Kaiserzeit und der Ära Rollmann zugeordnet werden
konnten, eilte am gesamten See der zweifelhafte Ruf als schikanöse
„Matrosendompteure“ voraus. Ein „Häfler-Original“ wie aus dem
Bilderbuch war hingegen der altgediente Obermatrose Theo Achberger. Seine
hagere, etwas schlaksig wirkende Gestalt hinterließ den Eindruck eines aus der
Mottenkiste der Königlich Württembergischen Bodensee-Dampfschiffahrt
hervorgeholten Seemannes. In Konstanz lebte seine ebenfalls nicht mehr ganz
junge Freundin mit dem Namen „Madi“, die ihren Theo stets mit Essen und
Trinken versorgte. Eine ständige Zielscheibe unseres Spotts war auch der
Dienstmann mit seinem großen Zweiradkarren. Sein bürgerlicher Name war uns nie
geläufig, er wurde immer nur „Tschampes“, oder wegen seines einzig übriggebliebenen,
weit hervorstehenden Zahnes „Einzahn“ gerufen. Da er von uns oft gehänselt
wurde, drohte er schon von weitem mit erhobener Faust: „Verschwindet jo, ihr
Rotzlöffel“! Ein anderes Original war der Meersburger Hafenmeister Karl
Heger, der nebenbei auch das Amt des historischen Nachtwächters in der
Burgenstadt ausübte. Wegen seines überdimensionierten Riechkolbens musste er
von den Besatzungen wie von den Fahrgästen so manch spöttische Bemerkung
hinnehmen. Einmal erkundigte sich eine feingekleidete Dame mit Kopftuch,
Sonnenbrille und Stöckelschuhen nach der rötlichen Färbung seiner großen
Nase. „Des kummt vom Oschtwind, gnädige Frau“, antwortete Heger. Kassier
Rudi Drexler wusste es besser: „Der Oschtwind, vu dem er spricht, weht bei ihm
ussem Vierteleglas in Gasthaus „Zum Anker!“
(Karl F. Fritz)