So
versank die alte Herrlichkeit
In die Vergangenheit als auf See
Sie scheinen wie die Perlen des Kielwassers zurückzubleiben
Auf dem sich das Schiff auf
zauberhafte Weise fortbewegt!
Joseph
Conrad „Spiegel der See“
Erinnerungen
von Schiffshistoriker Karl F. Fritz
Teil
5
Den
Hafendienst in Konstanz verrichtete meistens der Müller Otto, ein
Alt-Konstanzer Original, aber auch oft Zielscheibe des Spotts seiner jüngeren
Kollegen. Diese machten sich einen Spaß, beim läufigen Drahtseilwurf vom
Vorschiff einer „Höri“ oder
„Mainau“
den Müller-Otto abzuschießen. Meistens konnte er das Seil auffangen,
aber manchmal ging er laut fluchend und mit geschwollenem Handrücken
ins Anbinderzimmer zurück. Ein anderes Original aus der Schiffahrtsszene
war Kassier Walter Frank, von seinen Kollegen „Sonnyboy“ genannt. Man sah
ihn nie ohne Stumpen und böse Zungen behaupteten, dass der „Sonny“ sogar
mit der Zigarre ins Bett ginge. An einem Frühlingsmorgen verholte die „Baden“
vom Werfthafen an den Landungsplatz 3. Am Poller neben dem Einstieg stütze sich
„Sonny“ mit dem obligaten Stumpen und in der rechten Hand das Drahtseil
gegen die Reling. Rolf Glatz, dem Hafenmatrosen, saß schon damals der Schalk im
Nacken. „Du Sonny“, rief er ihm zu. „Gib acht, dass dir de Stumpe it ins
Wasser keit!“ Sonny antwortete mit „Naa“ und weg war der Stumpen….
Ein beliebter Zeitvertreib waren auch falsche Auskünfte über abgehende Schiffe. Sofern der Hafenmatrose nicht zur Stelle war, wandten sich die ebenso unkundigen wie ungeduldigen norddeutschen Touristen an uns. Natürlich mochten wir als waschechte „Konstanzer Frichtle“ aus Deutschlands letztem „Zipfele“ diese Leute wegen ihres meist betont forschen Auftretens nicht besonders. Daher blieb es für uns eine „Ehrensache“, den sogenannten „Preußen“ wann immer sich die Möglichkeit bot, eins auszuwischen. Natürlich wollten die meisten Touristen damals wie heute auf dem kürzesten Weg zur Insel Mainau. Als Reaktion auf die obligatorische Standardfrage: „Junge, du bist doch von hier?“, wurde die betreffende Person anstatt auf den um 14.30 Uhr in Richtung Mainau-Überlingen abgehenden Schnellkurs entweder auf die „Stadt Bregenz“ oder das um 15.15 Uhr von Platz 8 abgehende Kursschiff nach Schaffhausen verwiesen. Eine solche Geschichte wäre beinahe einmal schiefgelaufen, denn anderntags erkannte mich ein auf diese Weise gefoppter Familienvater: „Kuck mal an, dort ist wieder dieser Lauslümmel, der uns auf den falschen Dampfer geschickt hat“ In diesem Falle half nur schleunigste Flucht in das Gebüsch des nahen Stadtgartens. Ein anderes Mal wurde ich wegen einer solchen Geschichte von Helmut Schöpf „vergattert“. Er kam am Landungsplatz 2 auf mich zu, legte die Hand um meine Schulter und meinte gedehnt: „Mein junger Freund, mit dir habe ich einige ernsthafte Worte zu bereden“. Mein Gesicht muss dabei vor Scham puterrot angelaufen sein, als mich Helmut aufzuklären begann. Er schien auch meine Verlegenheit bemerkt zu haben und ermahnte mich deshalb in einem schon beinahe versöhnlichen, kameradschaftlichen Ton: „Woascht i hon nix dagege, wenn einer mol en Spaß oder e Stroachle macht. Aber geschtern hot sich bi üs en Fahrgascht bitterbös über die falsche Ussage von eme Konschtanzer Bueb beschwert und des kannscht bloß du gsi si…“! So blieb mir keine andere Möglichkeit, als diesen Vorfall einzugestehen.
Ein
besonders freundschaftliches Verhältnis bestand auch zwischen meinem Vater und
dem späteren Kapitän der „Karlsruhe“,
Karl Wiggenhauser. Beide kannten sich seit 1929, als die Güterwaggons aus Mainz
mit den einzelnen Bausektoren für die „Stadt
Überlingen“ auf das Konstanzer Werftgleis rangiert wurden. Er und sein
Bruder Franz, ebenfalls Kapitän oder mindestens Steuermann, stammten aus Bodman,
das früher einmal als die „Matrosenfabrik“ der badischen Flotte bezeichnet
wurde.
An
Sonntagen fuhr ich mit meinen Eltern oft nach Hagnau, um die Verwandtschaft
meiner Mutter zu besuchen. Damals lebte in der Seestraße noch meine Großtante
Klara Müller, die älteste Einwohnerin des Fischer- und Winzerdorfes. Soweit
ich mich erinnern kann, wurde sie 1871 geboren und noch von dem berühmten
Dichterpfarrer Heinrich Hansjakob getauft. Ich habe die Tante nur noch als bettlägerig
in Erinnerung. „I leab numme lang“, sagte sie mehrmals am Tag.
Scherzeshalber bedeutete ihr einmal meine Mutter, dass sie dazu erst den nächtlichen
Weißherbstkonsum einstellen müsste. Denn trotz ihrer Gebrechlichkeit holte sie
während der Nacht zweimal eine Weinflasche unter dem Bett hervor. Sie starb
dann hochbetagt gegen Ende der 60er-Jahre.
In
der Regel fuhren wir mit dem um 13.10 Uhr in Konstanz abgehenden Kurs 113 und überwiegend
mit der „Austria“. Mein
bevorzugter Platz war meistens und sofern das Schiff nicht überbesetzt war, die
hinterste Bankreihe des Freidecks II. Platz, wo man nicht nur die gewaltige
Hecksee bewundern konnte, sondern auch durch einen immer geöffneten Lukendeckel
auf die Antriebswelle des Steuerbordpropellers sah. Im Stiegenhaus zum Freideck
II. Platz hing damals über mehrere Jahre ein Werbeplakat der Donauversicherung
in Wien mit zwei Mädchen in der Wachauer Tracht. Aus heutiger Sicht undenkbar wären
auch Plakate, die damals in der „Laube“ I. Platz für Fremden- verkehrsorte
außerhalb der Bodensee-Region wie Bad Hall oder St. Johann in Tirol warben.
In
der Hagnauer Seestraße gibt es zwei sogenannte Feuergassen, die direkt zum See
hinunterführen und von mir nicht lange unentdeckt blieben. Fest im Gedächtnis
haften blieb mir aus diesem Blickwinkel die majestätisch davonziehende „Bavaria“
mit dem massigen, fast aristokratisch wirkenden Kamin, die einige Jahre später
ebenso wie die meisten Dampfer im Konstanzer Hafen von den Schneidbrennern
zerlegt wurde. Auch an den ersten Anblick der 1956/57 modernisierten „Stadt
Bregenz“ vermag ich mich von dieser Stelle aus noch zu erinnern. Zurück
ging es dann meistens mit der „Hohentwiel“,
der „Schwaben“ und zweimal sogar
noch mit der 1959 ausgemusterten, aus dem Jahre 1905 stammenden „Lindau“.
An die genauen Einzelheiten im Schiffsinnern erinnere ich mich bis auf das mit
dem Kesselschacht integrierte Maschinenhaus nicht mehr. Dieser von der Münchner
Maschinenfabrik J. A. Maffei erbaute Dampfer war 1930 von der Deggendorfer Werft
modernisiert und vollständig umgebaut worden. Die mittschiffs gelegene
Maschinenanlage lag nicht wie bei den anderen Dampfern offen und von einer
Reling umgeben, sondern war nur von drei Seiten durch unverglaste, den
Fensterformen des achteren Salons nachempfundene Öffnungen einsehbar.
Obwohl
ich schon damals die „Austria“ als überdurchschnittlich schnelles und
besonders schönes Schiff zu schätzen wusste, zählte sie für mich weniger zu
den „Exoten“, als einige Motorschiffe aus anderen Häfen. Dazu trug der
Umstand bei, dass die „Austria“ im Konstanzer Hafen eine beinahe alltägliche
Erscheinung war. Seltenere Gäste waren hingegen während der
Hauptfahrplanperiode die beiden bayerischen Großmotorschiffe „Allgäu“
und „Deutschland“.
Einige
der Lindauer Kapitäne kamen mir damals etwas unnahbar vor, während ich von den
Matrosen und Kassieren schon eher wahrgenommen wurde. Das waren ganz besonders
Hans Ertl, der von mir wegen der gewissen Ähnlichkeit mit einer zeitgenössischen
Comic-Figur als „Lurchi bezeichnete Otto Ring und natürlich Horst Motz. An
einem regnerischen Tag im Mai 1960 hatte Horst Motz Dienst auf der „Augsburg“,
die den Kurs 112/117 befuhr. Auf meine Frage, wann die Deutschland wieder käme,
erhielt ich zur Antwort, dass es doch ratsamer sei, die kurze Lederhose bei dem
kühlen Wetter gegen eine lange Hose auszutauschen.
(Karl F. Fritz)