Als die Schiffe noch im Winter fuhren

Die Fährschiffe und Katamarane ausgenommen, ruht über die kalte Jahreszeit der Schiffsverkehr auf dem Bodensee. Bis 1960 wurden die Schifffahrtslinien zwischen Konstanz und Überlingen sowie bis nach Friedrichsahfen noch ganzjährig befahren.  

Der Winterverkehr war immer eine defizitäre Angelegenheit, bedeutete aber damals für die Seeanwohner ein Stück Lebensqualität. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war es nicht außergewöhnlich, dass die Dampfschiffe in fremden Häfen übernachteten. "Oftmals waren in besonders strengen Wintermonaten die Decken in den Mannschaftsräumen beim Aufwachen an die Bordwand gefroren!", geht aus dem zeitgenössischen Bericht eines Steuermanns hervor. "Nur in Ausnahmefällen gestattete der Kapitän den Aufenthalt in einem der beheizten Salons oder in der Kajüte!" Bei länger anhaltenden Minusgraden begannen die Häfen zuzufrieren. Dann musste rund um die Uhr ein Dampfschiff als Eisbrecher eingesetzt eingesetzt werden. Beschädigungen  an den Schaufelrädern waren keine Seltenheit. Zu den bekanntesten Episoden des Winterverkehrs zählt wohl die Odysee des bayerischen Dampfers "Bavaria" bei der Seegfrörne im Jahre 1880. Unter dem Kommando des legendären Kapitäns Georg Riesch, wurde am 1. Februar der letzte, verzweifelte Versuch einer Kursfahrt von Lindau nach Konstanz unternommen. Schon auf der Höhe von Wasserburg musste sich  die "Bavaria" durch ein ausgedehntes Treibeisfeld kämpfen und erreichte nach drei bangen Stunden die Station Langenargen. Kapitän Riesch wollte nach Einbruch der Dunkelheit sein Schiff nicht weiter riskieren und beschloss deshalb, über Nacht in Langenargen liegen zu bleiben. Am anderen Morgen setzte die "Bavaria" ihre Fahrt fort, blieb aber in Höhe Hagnau in einem weiteren Packeisfeld stecken. Mit einer Maschinenleistung von 400 PS zählte die "Bavaria" damals zu den stärksten Personendampfern auf dem See und tatsächlich gelang es, das Schiff nach riskanten, stundenlangen Manövern freizubekommen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichte die "Bavaria" schließlich den sicheren Konstanzer Hafen. Eine Rückkehr nach Lindau, war aussichtslos, denn über Nacht hatte sich über dem gesamten Konstanzer Trichter eine feste Eisdecke gebildet. Bis auf den Kapitän, dem Maschinisten und einem Matrosen, kehrte die Besatzung auf dem Landweg nach Lindau zurück. Bis zum 22. Februar blieb der Schiffsverkehr auf dem Bodensee eingestellt. Nur der großen Dampffähre, im Volksmund der "Kohlenfresser" genannt, gelang es dank der enormen Wasserverdrängung, sich immer wieder einen Weg durch das Eis zu bahnen.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts lockerten sich die Hierarchien zwischen Kapitänen und den Mannschaften.  Die meisten Kurse wurden so eingerichtet, dass die Schiffe am Abend wieder in ihre Heimathäfen zurückkehren konnten. Einen letzten Schiffskurs mit Übernachtung in Überlingen gab es noch bis 1970, allerdings nur über die warme Jahreszeit. Bei der österreichischen Bodenseeschifffahrt wurde noch bis etwa 1955 das Mittagessen streng nach Dienstgraden getrennt eingenommen. Kapitän, Steuermann, Kassier und Maschinist dinierten im Speisesaal, während die Matrosen ihre Mahlzeiten im Mannschaftsraum einnehmen mussten. Ab 1927 wurden zunächst auf dem Überlinger- und Untersee die personalintensiven Dampfschiffe immer mehr zurückgezogen. An ihre Stelle traten mittelgroße und kleinere Motorschiffe, die entscheidend dazu beitrugen, das unvermeidliche Defizit während der kalten Jahreszeit abzuschwächen. Als dann im Zweiten Weltkrieg der Dieseltreibstoff knapp wurde, dominierten auch über das Winterhalbjahr noch einmal die kohlenbefeuerten Dampfschiffe. Sogar die beiden großen, in Friedenszeiten nur von Mai bis September eingesetzten großen Salondampfer "Stadt Überlingen" und "Stadt Bregenz" waren nun das ganze Jahr über unterwegs.

Ab 1952 wurde der Winterverkehr auf je drei Kurspaare zwischen Konstanz und Überlingen reduziert. Auf dem Obersee wurde von nun an nur noch die Teilstrecke zwischen Friedrichshafen und Konstanz über alle Zwischenstationen befahren. Hauptsächlich verkehrten dann auf dieser Route die drei speziell für den Winterverkehr entwickelten Schiffe "Kempten", "Augsburg" und "Ravensburg". Im Februar 1958 leistete auch noch das damals in Friedrichshafen stationierte Dampfschiff "Hohentwiel" Winterdienst. Dieser schon damals außergewöhnliche Einsatz eines Dampfschiffes in dieser Jahreszeit war mit einem vierwöchiges Schulungsprogramm neuer Steuerleute verbunden.

Ab 1960 wurde dann der Verkehr auf diesen Teilstrecken endgültig eingestellt.. Ganzjährige Schiffsverbindungen gab es von nun an nur noch zwischen  Konstanz und Meersburg und von Überlingen nach Dingelsdorf. Als im Februar 1963 der gesamte Bodensee zuzufrieren begann, mussten neben den Kursschiffen auch die Fährschiffe eine sechswöchige Zwangspause einlegen. Der ganzjährige Personenverkehr zwischen Konstanz und Meersburg wurde 1974 endgültig eingestellt. Seit 1976 kreuzen an den Adventsonntagen wieder mehrere große Motorschiffe aus allen Oberseehäfen über den See. Die gemütlichen Nachmittagsfahrten bilden seither einen festen Bestandteil des jährlichen Ausflugsprogrammes der drei großen Schifffahrtsunternehmungen. Zum Höhepunkt dieser Fahrten bei Kerzenschein und vorweihnachtlicher Musik gestaltet sich der Besuch von St. Nikolaus mit Knecht Rupprecht mit anschließender Bescherung der kleinen Fahrgäste. Das Finale jeder Saison bilden die festlichen Tanzfahrten zum Jahreswechsel, während in den Werften schon mit Hochdruck gearbeitet wird, um die Schiffe wieder für einen neuen Feriensommer flott zu machen.

(Karl F. Fritz)  

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