80
Jahre Motorschiff "Thurgau"
Das Motorschiff
"Thurgau" zählt zusammen mit seinem um ein Jahr jüngeren
Schwesterschiff "Zürich" zu
den klassischen Repräsentanten des beginnenden Dieselzeitalters auf dem
Bodensee. Als erste, größere Motorschiffe der Gesamtschweiz, läuteten
die beiden Romanshorner "Zwillinge" den Beginn einer neuen
Epoche im flächenmäßig größten Bodenseehafen ein.
Am 10.
Mai 1932 erfolgte die Indienststellung der "Thurgau". Die
Jungfernfahrt führte quer über den See bis in Höhe Friedrichshafen und
entlang des deutschen Ufers über die Bregenzer Bucht zurück nach Romanshorn.
Gemeinsam mit dem Dampfschiff "St.
Gotthard", wurde die "Thurgau" von Anfang an der
Querverbindung nach Friedrichshafen zugeteilt. Der Bruch eines Radarmes während
einer Sonderfahrt nach Lindau, beendete am 21. August 1932 vorzeitig die
Laufbahn der zum Jahresende vorgesehenen Stillegung des Dampfschiffes
"Helvetia". Der 1887 in Dienst gestellte Dampfer mit seinem elegant
geschwungenen Clippersteven wurde vollständig ausgeschlachtet und am 27.
Oktober im "Tiefen Schweb", dem 200-Meter-Graben im Obersee versenkt.
Dasselbe Schicksal ereilte im Mai 1933 nach Indienststellung des
Schwesterschiffes "Zürich" auch den 41 Jahre gewordenen Dampfer
"Säntis". Nach Indienststellung der beiden Motorschiffe, gingen
auch die Fahrleistungen der Dampfschiffe "St. Gallen" und
"Rhein" drastisch zurück. Beide Dampfer verkehrten von nun an überwiegend
im Sommerhalbjahr und wurden vorzugsweise für Sonder- und Ausflugsfahrten
eingesetzt.
Obwohl
nur für 450 Fahrgäste zugelassen, beeindruckten beide Schiffe durch ihre
betont maritim wirkenden Proportionen. Auf dem Hauptdeck befanden sich achtern
der Fahrgastraum und vorne der Speisesaal 2. Klasse. Das verhältnismäßig
lange Vorschiffsdeck war damals noch zum Transport von Fracht- und Stückgütern
vorgesehen. Das Oberdeck war ausschließlich der I. Klasse mit Aufenthaltsraum
und einem kleinen Speisesaal vorbehalten. Auf dem für die Passagiere
nicht zugänglichen Brückendeck befanden sich ein geräumiges Steuerhaus, an
das sich ein kleines Stiegenhaus und der markante Kamin anschlossen, der diesen
beiden Schiffen eine unverkennbare Charakteristik verlieh. Zu beiden Seiten des
Brückendecks war nach dem Vorbild der "Allgäu" je ein Rettungsboot
angeordnet, die durch zwei kippbare Davits ausgeschwenkt werden konnten.
Zwei imposant emporragende Großmasten auf dem Hauptdeck vervollständigten die
ausgewogene Silhouette der beiden Schiffe. Während die Rahe des vorderen Mastes
als Signalträger diente, wurde die Nationalflagge an der Gaffel des achteren Großmastes
geführt. Zwei Sulzer-Zweitakt-Dieselmotoren mit einer Leistung von je 240 PS
trieben die beiden vierflügeligen Doppelschrauben, Fabrikat Zeise an und
verliehen den Schiffen eine Höchstgeschwindigkeit von 25,4 km/h.
Von
einem unbeschwerten Fahrgastvergnügen nach heutigen Maßstäben zwischen
Deutschland und der Schweiz, konnte spätestens ab 1938 keine Rede mehr sein.
Besonders in Friedrichshafen und Lindau waren die Passagiere strengen deutschen
Grenzkontrollen ausgesetzt, was sich bald erheblich auf die Reiselust im
internationalen Querverkehr auswirkte. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
wurden diese Verbindungen bald nur noch von Transitreisenden oder Berufspendlern
frequentiert. Zeitgenössische Fotos und Ansichtskarten mit Begegnungen der
vollbesetzten neuen deutschen Dreideck-Motorschiffe und den nur spärlich
frequentierten Romanshorner Schiffen, hinterlassen selbst heute noch einen
deprimierenden Eindruck. Außerdem galten für die deutschen Passagiere rigorose
Devisenbeschränkungen. Analog zu den schwarz-weiß-roten Schornsteinringen der
deutschen Bodenseeschiffe, erhielten die beiden Romanshorner Schwestern im Jahre
1936 ein breites, rotes Schornsteinband mit dem weißen, eidgenössischen Kreuz,
das bis zum Umbau 1959/60 ein charakteristisches Markenzeichen dieser Schiffe
bildete. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mussten auch in der Schweiz nicht
nur die Kohlen, sondern auch der Dieseltreibstoff rationiert werden. Vorläufig
wurde noch ein bescheidener Querverkehr aufrecht erhalten, bis er am 4. Juni
1940 endgültig eingestellt wurde. Eine indirekte Folge war die Ausmusterung des
durch den Kriegsausbruch beschäftigungslos gewordenen Dampfschiffes "St.
Gotthard", das in den Jahren 1943/44 verschrottet wurde. Nur die
Dampfschiffe "Rhein" und "St. Gallen" hielten bis zum Sommer
1944 noch einen spärlichen Ausflugsverkehr zwischen Romanshorn und Rorschach
aufrecht. Nach der Bombennacht vom 28. April 1944 sollen sich nach Aussagen
mehrer Zeitzeugen aus Friedrichshafen beide Dampfer vollbesetzt und auf
bedrohlich naher Distanz der fast nur noch aus Ruinen bestehenden Stadt genähert
haben. Erst die akute Gefahr der nun auch am Tage auftauchenden alliierten
Flugzeuge, bereitete diesem mutmaßlichen "Katastrophentourismus" ein
rasches Ende.
Nach
Kriegsende war es die "Thurgau", die am 12. September 1946 als erstes
Schiff aus der Schweiz das zu 70 Prozent zerstörte Friedrichshafen anlief, wo
sich Verwandte und Bekannte nach siebenjähriger Trennung wieder in die Arme schließen
konnten. Unvergessen sind auch heute noch die Fahrten mit bedürftigen Kindern
aus dem zerbombten Friedrichshafen und aus Langenargen, die auf Initiative der
Kirchengemeinden am deutschen und am schweizerischen Ufer zu einem mehrtägigen
Aufenthalt von Gastfamilien im Kanton Thurgau aufgenommen wurden. Für diese
Fahrten wurden neben den beiden Motorschiffen auch das Dampfschiff
"Rhein" eingesetzt. Alleine schon die tadellose Inneneinrichtung der
Schweizer Schiffe überwältigte damals die jungen Fahrgäste, die zum ersten
Mal wieder ohne Angst vor Fliegerangriffen eines dieser damals aus deutscher
Sicht ungewohnt gepflegten Schiffe betreten durften.
Als am
15. Mai 1949 der Personenverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz offiziell
eröffnet werden konnte, übernahm die "Thurgau" nach fast zehnjähriger
Unterbrechung von Anfang an wieder ihre alte Stammrolle im Querverkehr nach
Friedrichshafen. Zur besseren Unterscheidung mit dem Schwesterschiff "Zürich"
wurde im Jahre 1957 der Kaminoberteil zwischen Hoheitszeichen und Abschluss in
dem grünen Farbton des Kantons Thurgau gestrichen.
Im Jahre 1956 erhielt die Romanshorner Flotte einen Zuwachs durch das mittelgroße Motorschiff "Säntis" und hatte damit für vier Jahre wieder den Vorkriegs-Flottenbestand erreicht. Die sich im Verlaufe der 50er Jahre ändernden ästhetischen Aspekte im Schiffbau führten 1959 zu einer grundlegenden Modernisierung der beiden Schwesterschiffe aus den 30er Jahren. Nach Saisonschluss 1958 war als erste die "Thurgau" an der Reihe. Auf der Kressbronner Bodanwerft erhielt das Schiff einen ausfallenden Vordersteven und ein neues Brückendeck. Der bisher markante Kamin und die Rettungsboote verschwanden zugunsten einer neuartigen Kombination von Steuerhaus und Kaminatrappe. Das Oberdeck wurde nach achtern um zwei Meter verlängert. Zwei neue Viertakt-Dieselmotoren der Lokomotivfabrik Winterthur mit einer Leistung von 2 x 300 PS ersetzten die ursprünglichen Sulzer-Motoren. Die zulässige Personenzahl konnte von ursprünglich 450 auf 500 Fahrgäste erhöht werden. Als die "Thurgau" im Mai 1959 zum ersten Mal wieder am deutschen Ufer vor Meersburg und der Insel Mainau aufkreuzte, war das Schiff auf den ersten Blick kaum mehr wieder zu erkennen. Im darauf folgenden Winterhalbjahr wurde nach identischen Vorgaben auch die "Zürich" modernisiert. Stagnierende Frequenzen führten 1960 zur Ausmusterung des Dampfschiffes "St. Gallen", wodurch die Flotte wieder auf vier Fahrgastschiffe reduziert wurde. Im Herbst 1966 verabschiedete sich als letztes Dampfschiff auf dem Obersee auch der Dampfer "Rhein". Als Ersatzschiff wurde im Mai 1967 die "St. Gallen" in Dienst gestellt. Welche Attraktion eine Erhaltung des letzten SBB- Dampfers für die gesamte Region der Nordostschweiz bedeutet hätte, muss aus heutiger Sicht nicht länger umschrieben werden. Während die "Thurgau" ab 1976 immer mehr in den Ausflugsverkehr mit eingebunden wurde, blieb das Schwesterschiff "Zürich" noch lange Zeit ihrer Stammrolle im Querverkehr nach Lindau zugeteilt. Im Jahre 1991 wurden die Fahrgasträume der "Thurgau" in einer ansprechenden und rustikalen Art neu gestaltet. Nach der Umwandlung der ehemaligen SBB-Flotte in die private Schweizerische Bodensee-Schifffahrts-Gesellschaft im Jahre 1996, wurde das bisherige Ausflugsfahrten-Programm weiter ausgebaut. Über das Sommerhalbjahr führen nun schon seit Jahren tägliche Kursfahrten von Rorschach und Romanshorn über die Insel Mainau nach Unteruhldingen und Meersburg, was besonders von den deutschen Individualurlaubern begrüßt wurde. Mit der "Thurgau" oder der "Zürich" kann seit Jahren von den Stationen Unteruhldingen oder Meersburg eine ausgedehnte Oberseekreuzfahrt unternommen werden. Die Route führt entlang des Schweizerufers über Rorschach und von dort quer über den See nach Wasserburg und kann von dort nach kurzem Aufenthalt in der Regel mit der "Karlsruhe" am deutschen Ufer fortgesetzt werden. Unverkennbar bleibt auch eine enge "Verwandtschaft" der Jubilarin und seines Schwesterschiffes mit der 1935 als erstes Dreideck-Motorschiff in Dienst gestellten "Baden". Mögen die beiden jung gebliebenen und rustikalen Schiffe mit ihrer unverkennbaren Charakteristik dem Bodenseeverkehr noch über viele Jahre erhalten bleiben.
(Karl F. Fritz Winter
2011/2012)