Vor 50
Jahren:
Als sich die
"Stadt Überlingen" vom Bodensee verabschiedete
"Dampferromantik wurde zu teuer - die "Stadt Überlingen" nimmt Abschied vom Bodensee!", war am Samstag, den 14. September 1963 einer Beilage der damaligen Tagespresse zu entnehmen. Einen Tag später lief die erst 34 Jahre alte "Stadt Überlingen" zu einer vielbeachteten, aber auch von Wehmut geprägten Abschiedsfahrt aus. Aus heutiger Sicht bleibt dieses frühzeitige Ende des stolzen und in mancherlei Hinsicht einmaligen Dampfers fast unvorstellbar, zumal inzwischen Motorschiffe mit einem Alter von 80 und mehr Jahren immer noch zuverlässige Dienste leisten. Doch die Rechenstifte der übergeordneten Verwaltungen blieben unerbittlich und machten auch bei dem modernsten und schnellsten Dampfschiff der Bodenseeflotte keine Ausnahme. „Die erwirtschafteten Mehreinnahmen der deutschen Bodenseeschifffahrt werden in die Feuerlöcher der Dampfschiffe geschaufelt!“, argumentierte schon 1960 ein Sprecher des Bodensee-Verkehrsdienstes der Deutschen Bundesbahn.
Letzte
Oberseefahrt am 13.9.1963.
Nachdenklich blickt Kapitän Karl Welte auf den spätsommerlichen See.
Ein strahlend blauer Spätsommerhimmel wölbte sich über den Bodensee, als die von dem langjährigen Stammkapitän Walter Schöller kommandierte „Stadt Überlingen“ am 15. September 1963 um 13.30 Uhr zum letzten Mal den Konstanzer Hafen verließ. Trotz der an Bord vorherrschenden Volksfeststimmung, wollte bei zahlreichen Fahrgästen keine echte Freude aufkommen. Viele blickten nachdenklich durch das Maschinenoberlicht, wo die gewaltigen Antriebskurbeln im Gegenrhytmus auf- und niederwuchteten. Wie gewohnt arbeitete Obermaschinist Heinrich Böhe am Maschinenstand und die beiden Heizer Gottfried Dannegger und Karl Schmid warfen schweißgebadet Lage um Lage schwarzglänzender Kohle in die vier Flammrohre der Kesselgruppe. Mit der „Stadt Überlingen“ verabschiedete sich auch gleichzeitig das letzte kohlenbefeuerte Dampfschiff der Bodenseeflotte. Die noch im Betrieb stehenden Schweizer Dampfschiffe „Rhein“ und „Schaffhausen“ waren ebenso wie die österreichische „Stadt Bregenz“ längst auf Schwerölfeuerung umgestellt worden. Trotz der jahrelangen Schwerstarbeit, ging diese Fahrt auch an den „Schwarzen Gesellen“ im Kesselraum nicht spurlos vorüber. Ebenso wie die Kollegen im Decksdienst und auf der Brücke, waren sie im Laufe der Jahre zu einem Teil der „Stadt Überlingen“ geworden und hatten sich trotz der harten Arbeit nicht ohne Stolz immer mit diesem imposanten Schiff und seinen Eigenheiten identifiziert.
Von links nach rechts: Obermaschinst Heinrich Böhe, Oberheizer Gottfried
Dannegger und Heizer Karl Schmid.
In
Meersburg kamen weitere Gäste an Bord. Unter ihnen der damalige Bürgermeister
Franz Gern. Der am gesamten See als Original bekannte Hafenmeister Karl Heger
hatte sich extra frei genommen und war zu diesem Anlass in Frack und Zylinder
erschienen. Mit über 900 Personen besetzt, nahm der Dampfer Kurs in den Überlingersee
und durchkreuzte das Kielwasser der damals neuesten Fähre
„Fritz Arnold“. Von der Insel Mainau kam die „Allgäu“
entgegen. Dieses über viele Jahre größte Fahrgastschiff auf dem Bodensee war
nur wenige Wochen vor der „Stadt Überlingen“ in Dienst gestellt worden,
sollte aber den gleichaltrigen Dampfer um 36 Jahre überleben! Deshalb konnte
der Bau der „Stadt Überlingen“ schon im Jahre 1929 als „Schwanengesang“
des Dampfzeitalters betrachtet werden. Dreimal hob und senkte sich über dem
Kreuzerheck „Allgäu“ als letzter Gruß an den langjährigen Seekameraden
die „Nationale“, den die „Stadt Überlingen“ mit einem langen Röhren
aus der Mehrklangpfeife beantwortete. Auf der Höhe von Dingelsdorf wurden mit
der damals 26 Jahre alten „Karlsruhe“
ebenfalls durch Mark und Bein gehende Sirenengrüße ausgetauscht. Gegen 15.00
Uhr steuerte der Dampfer in weitem Bogen Überlingen an, wo sich am
Landungsplatz eine unübersehbare Menschenmenge eingefunden hatte. Von der Mole
des Mantelhafens krachten Böllerschüsse und die Stadtmusik intonierte den
Marinemarsch „Gruß an Kiel“. Die Konstanzer und Meersburger Gäste mussten
nun das Schiff verlassen, denn jetzt waren die Überlinger an der Reihe, um sich
von ihrem Patenschiff zu verabschieden. Frauen und Mädchen in der historischen
Überlinger Tracht schmückten das Schanzkleid auf dem Oberdeck mit
frischgewundenen Girlanden. Als Ehrengäste stiegen Bürgermeister Anton Schelle
und Kurdirektor Wegmann zu. Vollbesetzt und schwarzqualmend nahm die „Stadt Überlingen“
Fahrt in Richtung Sipplingen und Bodman auf.
Nach der Rückkehr gegen 17.30 Uhr hatte die endgültige Abschiedsstunde geschlagen. In einer bewegten Rede äußerte Bürgermeister Schelle den Wunsch, dass der sich schon in Kressbronn auf Kiel gelegte Neubau wieder den Namen „Überlingen“ erhalten möge. Dieser Wunsch sollte sich allerdings nicht erfüllen, denn das im Mai 1964 in Dienst gestellte Ersatzschiff wurde auf den Namen „Konstanz“ eingeweiht. Als die Stadtmusik das alte Bodenseelied „Auf dem Berg so hoch da droben“ anstimmte, legte Kapitän Schöller mit feuchten Augen den Hebel des Maschinentelegraphen auf „Langsam Vorwärts!“. Mit ohrenbetäubendem Gröhlen der Mehrklangpfeife verabschiedete sich der Dampfer von Überlingen, das er in seiner aktiven Dienstzeit so oft angelaufen hatte. Die inzwischen wieder zugestiegenen Fahrgäste aus Konstanz und Meersburg verabschiedeten sich von den Überlingern wie alte Bekannte. Taschentücher und Hüte wurden geschwenkt und so mancher alte „Seehase“ wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, als sich die Schaufelräder ein letztes Mal aufgischtend in Bewegung setzten.
Schon
war die Abenddämmerung hereingebrochen, als die „Stadt Überlingen“ den
Heimathafen Konstanz erreichte. Zahlreiche Teilnehmer gingen stumm und
nachdenklich von Bord. Auch der damalige Matrose Walter Nolte, der nach seiner
Pensionierung im Jahre 1998 noch die Landestelle Dingelsdorf betreute, meinte,
dass er sich damals die Schifffahrt auf dem Bodensee ohne die prächtige
„Stadt Überlingen“ nicht vorstellen konnte. Auch ihm war diese Fahrt zu
Herzen gegangen. Als die letzten Fahrgäste das Schiff verlassen hatten,
verholte der Dampfer wie gewohnt an den Landungssteg beim „Kohlenbrückle“
im ehemaligen Güterhafen. Im Rahmen einer kleinen Feier wurden Kapitän Walter
Schöller und der altgediente Oberheizer Alfred Schwarz, dessen Laufbahn im
Jahre 1928 auf dem Dampfer „Baden“
ex „Kaiser Wilhelm“ begonnen hatte, in den wohlverdienten Ruhestand
verabschiedet. Noch glimmten die letzten Kohlenreste auf den Feuerrosten, bis
sie nach und nach für immer verlöschten…!
(Karl F. Fritz)