Erinnerungen an die Wettfahrten
um das "Blaue Band" des Bodensees
Zwischen 1950 und 1954 wurden fünf spektakuläre Schiffsrennen
ausgetragen
Im Jahre 1950 hatte sich die Bodenseeschifffahrt von
den Auswirkungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre weitgehend erholt. Der Linien- und Ausflugsverkehr funktionierte wieder barrierefrei und
die Passagierfrequenzen hatten wieder das Vorkriegsniveau erreicht. Als eine besondere Attraktion, regte im Frühjahr 1950 der Verkehrsverein
Lindau eine Wettfahrt sämtlicher Bodenseeschiffe um das „Blaue Band“ an. Die deutschen und österreichischen Dienststellen reagierten
positiv, während sich die Schweizerischen Bundesbahnen vorläufig noch abwartend verhielten. Damit möglichst viele Schiffe teilnehmen
konnten, einigte man sich, diese Fahrten außerhalb der Hauptfahrplanperiode zu veranstalten. Das „Blaue Band“ war zum ersten Mal im Jahre
1860 von den transatlantischen Schifffahrtsunternehmen eingeführt worden, um das schnellste Schiff zwischen Europa und den Vereinigten
Staaten zu ermitteln. Zu den bekanntesten Inhabern des „Blauen Bandes“ zählten der deutsche Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm der Große“
(1897), die britische „Mauretania“ (1907) und später die „Bremen“ des Norddeutschen Lloyd (1929), die „Queen Mary“ (1936) und im Jahre 1952
die legendäre „Unidet States“.
(Bild: Archiv Karl F. Fritz)
Die Rennstrecke auf dem Bodensee wurde über eine Distanz von 10,4 Kilometern
zwischen dem Rohrspitz und dem Glockenschlagwerk vor dem Lindauer Hafen festgelegt. Zunächst sollten an der ersten Wettfahrt am 17.
September 1950 nur Schiffe mit einer Maschinenleistung bis zu 1000 PS teilnehmen. Doch mit dieser Entscheidung waren die Österreicher ganz
und gar nicht einverstanden, die ihr mit zwei jeweils 635 PS starken Sulzer-Motoren ausgerüstetes Flaggschiff
„Austria“ ins Rennen schicken wollten. Am Ende wurde dann doch für eine Teilnahme der „Austria“
entschieden, die wie erwartet sämtlichen deutschen Konkurrenten beinahe mühelos davonlief. Den zweiten Platz belegte bei dieser ersten
Wettfahrt die „Hohentwiel“, gefolgt von den Motorschiffen
„Schienerberg“ und der damals unter dem Namen „Lindau“ verkehrenden
„Deutschland“.
(Bild: Archiv Karl F. Fritz)
Wesentlich spannender wurde es bei der zweiten, am 17. Juni 1951 veranstalteten
Wettfahrt. Bei der deutschen Bodenseeflotte nahm zum ersten Mal das damals erst 22 Jahre alte Dampfschiff
„Stadt Überlingen“ teil. Allerdings konnten die meisten Schiffe nicht ihre tatsächliche
Höchstgeschwindigkeit entfalten, da fast alle Teilnehmer mit bis zu zwei Dritteln der zulässigen Personenzahl besetzt waren. Der Start war
auf 15.30 Uhr festgelegt und hatte aus einer absoluten Ruhelage zu erfolgen. Wer vor diesem Zeitpunkt seine Antriebsanlage in Gang setzte,
wurde ohne Rücksicht auf Rang und Namen disqualifiziert. Angespannt harrten die Maschinisten der Dampf- und Motorschiffe an den
Schalltrichtern und Maschinentelegraphen auf das erlösende Klingelzeichen von der Brücke. Exakt aufgereiht lagen die Schiffe am Start. Ganz
außen rechts war die „Austria“ positioniert, daneben die mächtige „Allgäu“, flankiert von der
„Schwaben“ und der „Lindau“ ex „Deutschland“. Den linken Flügel bildeten die Dampfschiffe „Stadt
Überlingen“, „Hohentwiel“, „Bavaria“ und „München“.
Die mittelgroßen Schiffseinheiten waren mit der „Höri“ und der „Schienerberg“ vertreten. Das
Rennkomitee hatte sich auf dem kleinen, damals in Friedrichshafen stationierten Motorboot „Bayern“
eingeschifft, von dem auch der Startschuss erfolgte. Die Ziellinie vor dem Lindauer Hafen markierten der Motortrajektkahn Nr. 16 und das
Zollboot „Friedrich List“. Die beiden mutmaßlichen Topfavoriten „Austria“ und „Stadt Überlingen“ wurden von zwei erfahrenen „Seebären“
kommandiert. Der österreichische Kapitän Karl Galluschka erinnerte mit seiner schlanken, hochgewachsenen Figur an die großen Tage der k.u.k.
Dampfschifffahrt auf dem Bodensee. Sein Konstanzer Kollege Walter Schöller wurde wegen seiner dunklen Gesichtsfarbe am Obersee als „Negus“
und an den Stationen des Überlingersees als „Chimborasso“ bezeichnet. Um den Längstrimm zu verbessern, durfte kurz vor dem Start die vordere
Schiffshälfte der „Stadt Überlingen“ nicht mehr betreten werden. Manche Heizergruppe arbeitete mit Hilfsmitteln, die bei den
verantwortlichen Dienststellen blankes Entsetzen hervorgerufen hätten. Mit selbstgebastelten Pumpen wurde zusätzlich ein Gemisch aus Öl und
Benzin auf die glühenden Kohlen gespritzt. Andere warfen ölgetränkte Putzlappen in die Feuerlöcher. Diese „Dopingmethoden“ blieben nicht
ohne Folgen. Während der Fahrt entzündete sich auf der „München“ der Kaminruss. Der älteste Teilnehmer musste vorzeitig ausscheren und den
Lindauer Hafen aufsuchen, wo die alarmierte Feuerwehr ein größeres Schadensausmaß verhinderte.
Auf die Minute genau, krachte vom Heck der kleinen „Bayern“ der erlösende
Startschuss. Noch während der Pulverdampf aufstieg, schrillten die Klingeln der Maschinentelegraphen. Auf den Motorschiffen wurden die
Fahrthebel bis zum äußersten Anschlag nach vorne geschoben. Die Stahlungetüme in den Bäuchen der Dampfschiffe reckten ihre blanken Glieder
und die Dieselmotoren begannen auf Volllast zu hämmern. Schon nach wenigen Minuten schoben sich die „Austria“ und die „Stadt Überlingen“ an
die Spitze. Anstelle der normalen Höchstdrehzahl von 52 Umdrehungen pro Minute, schwangen die Antriebskurbeln der „Stadt Überlingen“ 58 Mal
um die eigene Achse. Obermaschinist Sepp Koch und seine „Schwarzen Gesellen“ Gottfried Dannegger und Adolf Steiner vertrauten auf ihre
leistungsstarke Maschine und hatten bewusst auf die bei anderen Schiffen verwendeten „Zusatzbrennstoffe“ verzichtet. Die Kesselfeuer
brannten hell und das Manometer hatte schon lange vor dem Start den maximalen Dampfdruck von 11,5 Atmosphären erreicht. Die Sulzer-Motoren
der „Austria“ wurden bei diesem Prestigeduell von je einem Maschinisten betreut. Beide Antriebsdiesel wurden auf Überlast hochgefahren, denn
auch die „Austria“ war mit rund 800 sensationshungrigen Teilnehmern besetzt. Schließlich galt es den im Vorjahr souverän gewonnenen Titel
ein zweites Mal erfolgreich zu verteidigen. Tatsächlich gelang es der „Stadt Überlingen“ kurzfristig mit der „Austria“ gleichzuziehen, aber
dann ging dem Konstanzer Dampfer die Puste aus und fiel um eine Schiffslänge zurück. Aber die „Stadt Überlingen“ musste sich noch gegen zwei
weitere Konkurrenten behaupten. Das im Vorjahr neumotorisierte Motorschiff „Höri“, das heute als chinesisches Restaurant „Hu-Bien“ bei
Gaissau liegt, hatte sich zusammen mit der „Lindau“ ex „Deutschland“ dicht die Fersen des Dampfers geheftet. Schon im letzten Drittel der
Rennstrecke war die Reihenfolge der Sieger abzusehen. Die „Austria“ blieb mit 29,1 km/h Spitzenreiter, gefolgt von der „Stadt Überlingen“,
die sich mit 600 Personen an Bord und 28,2 km/h bravourös geschlagen hatte. Die „Höri“ etablierte sich mit 27,9 km/h auf den dritten Rang
und Vierter wurde die „Lindau“, die ihre reguläre Höchstgeschwindigkeit von 26 km/h auf 27,5 km/h steigern konnte. Die übrigen Teilnehmer
blieben mehrere Schiffslängen hinter diesem „Quartett“ zurück. Darunter auch die „Hohentwiel“, der Vizemeister aus dem vergangenen Jahr und
die zwar leistungsstarke, vorübergehend aber mit hölzernen Radschaufeln ausgerüstete „Bavaria“.
Das dritte Rennen vom 15. Juni 1952 wurde ausschließlich zwischen Dampfschiffen
bestritten. Als souveräner Sieger ging die „Stadt Überlingen“ hervor, deren Vorsprung zum „Gros“ der sieben anderen Teilnehmer am Ende einen
Abstand von sechs Schiffslängen betrug. Den zweiten und dritten Platz belegten die Schwesterschiffe
„St. Gallen“ und „Rhein“. Als Vorteil erwies sich bei den Romanshorner „Zwillingen“, dass
während des Umbaus in den 1930er Jahren auf die bei den deutschen Schiffen üblichen Stabilitätsanbauten, wenn auch auf Kosten der Tragkraft
verzichtet wurde. Der vierte Rang ging an die „Lindau“, die zwei Monate zuvor den 1949 verliehenen
Namen „Hoyerberg“ wieder abgelegt hatte.
Waren es im Vorjahr die Dampfschiffe, so blieb das Rennen von 1953 den
Motorschiffen vorbehalten. Sieger wurde zum dritten Mal die „Austria“, gefolgt von den Schiffen „Höri, „Deutschland“ und „Schwaben“. Die
„Baden“ musste wegen eines abgebrochenen Propellerflügels vorzeitig aus dem Rennen ausscheiden. Das
fünfte und für lange Zeit letzte Rennen wurde im Juni 1954 ausgetragen. Da die „Austria“ nicht mehr teilnahm, ging das „Blaue Band“ zum
zweiten Mal an die „Stadt Überlingen“. Inzwischen aber hatte das Publikumsinteresse an diesen Veranstalten erheblich nachgelassen, dass sich
die Schifffahrtsunternehmen entschlossen, künftig auf diese aufwändigen „Materialschlachten“, die in manchen Fällen nicht ohne Folgen für
die Antriebsanlagen geblieben waren, künftig zu verzichten.
Wenn auch unter anderen Voraussetzungen,
wurde im Jahre 2000 der Gedanken einer Fahrt um das Blaue Band erneut aufgegriffen. Bei dieser Neuauflage sollte das schnellste Schiff nicht
nur durch seine Maschinenleistung, sondern im Rahmen eines Geschicklichkeitsturniers ermittelt werden. Die für den 14. Oktober 2001
vorgesehene Fahrt scheiterte allerdings am dichten Herbstnebel, der fast den ganzen Tag über dem See lag. Die Teilnehmer aller großen
Schifffahrtsunternehmen mussten am späten Nachmittag unverrichteter Dinge wieder heimkehren. Die Veranstaltung wurde auf den 13. April 2003
im Rahmen der internationalen Flottensternfahrt verschoben. Die Rennstrecke wurde auf eine Distanz von zweimal fünf Kilometern zwischen dem
Kippenhorn bei Immenstaad und östlich von Meersburg ausgewählt. Dabei galt es für alle Teilnehmer, einen mit Gewichten beschwerten
Rettungsring zu umrunden und aufzunehmen. Auch dieser Wettbewerb wurde wieder von der inzwischen 64 Jahre alten, aber 1991 neumotorisierten
„Austria“ zusammen mit der „Vorarlberg“ entschieden. Damit hatte das legendäre
österreichische Schiff das „Blaue Band“ zum vierten Mal erfolgreich verteidigt. Der Rekord der „Austria“ dürfte somit auch auf längere Sicht
von keinem konventionellen Fahrgastschiff mehr überboten werden!