So
versank die alte Herrlichkeit
In die Vergangenheit als auf See
Sie scheinen wie die Perlen des Kielwassers zurückzubleiben
Auf dem sich das Schiff auf
zauberhafte Weise fortbewegt!
Joseph
Conrad „Spiegel der See“
Erinnerungen
von Schiffshistoriker Karl F. Fritz
Teil
1
Öfters
sind wir während dieser Zeit zu Mutters Verwandtschaft nach Hagnau gefahren.
Meistens stand ich auf dem hinteren Saaldeck und blickte auf das Kielwasser, bis
die vertraute Silhouette mit dem Münsterturm, der Stephanskirche und dem
Inselhotel hinter der Landzunge des Eichhorns verschwand. Gerne ging Vater auch
nach Meersburg, um im „Anker“ sein Viertele zu trinken. Die Einheimischen
waren unter sich, alte, schrullige Meersburger mit aufgedunsenen Köpfen. Selbst
als Konstanzer Nachbar wurde man argwöhnisch begutachtet, als käme man von
einem anderen Stern.
In der Regel wurde die
damals noch ganzjährig aufrechterhaltene Teilstrecke Friedrichshafen-Konstanz
in den Wintermonaten von den bayerischen Zwillingen „Augsburg“ und
„Kempten“ oder der württembergischen Halbschwester „Ravensburg“
befahren. So rechnete ich auch fest damit, dass sich bald die um diese
Jahreszeit alt-vertraute Silhouette eines der drei Motorschiffe aus dem Dunst
schälen würde. Doch plötzlich ertönten , zunächst noch aus weiter Ferne,
dann in regelmäßigen Abständen immer
lauter werdend, die Nebelsignale einer Dampfpfeife. Wie war das möglich? Ein
Raddampfer mitten im tiefsten Winter? Denn die Dampfschiffe, die damals noch
verkehrten, verließen erst zur Ostersaison vereinzelt ihre Winterquartiere.
Erst leise, dann immer deutlicher hörbar, drang auch schon das
charakteristische Rauschen der Schaufelräder an mein Ohr. Nun waren jegliche
Zweifel beseitigt. Der Kurs 116 wurde von einem Dampfschiff befahren. Ich kann
mich noch daran erinnern, dass mich Vater zur Ruhe mahnte, als ich lautstark
aufjubelte: „Es ist ein Dampfer, ein Dampfer kommt!“
Nach
weinigen Augenblicken schob sich der hohe, senkrechte Vorsteven gegen die Dalben
der Landungsbrücke. Weiß leuchteten das Buglicht und grün die
Positionslaterne auf dem Steuerbord-Radkasten. Die während des Stoppmanövers rückwärts
arbeitenden Schaufelräder wühlten wegen des Niedrigwassers den sandigen Grund
auf. Der vierschrötige württembergische Kapitän auf der Brückennock hatte
sein rosiges Gesicht dicht an die Muschel des messingglänzenden Sprachrohres gepresst.
Am Radkasten stand in großen, dunklen Lettern der Name „Hohentwiel“.
Im
Schiffsinneren empfing uns das warme Leben, und es umgab uns ein Gefühl von
Geborenheit, wie es um diese Jahreszeit nur ein Dampfschiff ausstrahlen konnte.
Die mächtige Maschine glänzte im matten Schein einer Deckenlampe. Vor den
Kesseln hantierten die beiden Heizer und warfen gerade eine neue Lage Kohlen auf
die rot-schimmernde Glut. Der Maschinist an seinem rotgestrichenen Umsteuerrad
und den zahlreichen Hebeln warf einen kurzen, freundlichen Blick zu mir nach
oben. Als das schrille Klingelzeichen des Maschinentelegraphen ertönte, zuckte
ich für einen Augenblick vor Schreck zusammen. Dann setzte der Maschinist
dieses faszinierende Gebilde aus Messing und Stahl in Bewegung. Ein
durchdringendes Fauchen, das Stahlungetüm reckte seine blanken Glieder. Erst
langsam, dann aber im stetig schneller werdendem Rhythmus schwangen die beiden
wuchtigen Antriebskurbeln auf und nieder. Während ich von der Maschinenluke
nicht mehr loskam, unterhielt sich mein Vater in einiger Entfernung mit dem
Kassier, den er noch aus seiner aktiven Zeit als Eisenbahner kannte.
Es
begann schon zu dämmern, und die langsam hereinbrechende Winternacht legte
ihren dunklen Mantel über den See. Aber die stampfende Maschine vermittelte ein
so großes Sicherheitsgefühl, so dass ich das unfreundliche Wetter draußen
vollständig außer acht ließ. Dies sollte die einzige Winterkursfahrt sein,
die ich an Bord eines Dampfschiffes erleben durfte. Erst viele Jahre später
erfuhr ich, dass die „Hohentwiel“ nur ausnahmsweise im Rahmen eines
Steuermann-Lehrganges unter Dampf gesetzt worden war.